Das etwas andere Speed-Date: «Warum sind Sie nicht in einer anständigen Partei?»
Die Organisatorinnen sind gerade dabei zu erklären, wie das Speed-Dating funktioniert – die Kandidierenden stehen an Tischen, das Publikum wechselt bei jedem Gong nach rechts – da platzt Stephan Zurfluh, Kandidat der Musikpartei, in den Saal des Hotels Kettenbrücke: «Wir wurden nicht eingeladen!», ruft er in halb empörtem, halb schelmischem Tonfall in die Runde.
Dass Zurfluh nicht eingeladen wurde, erklärt sich damit, dass das Speed-Dating von Arbeit Aargau organisiert wurde, um den Kandidierenden der Arbeitnehmerverbände eine Plattform zu bieten. Dementsprechend war die politisch Linke auch stärker vertreten. «Warum kandidieren Sie nicht für eine anständige Partei?», will ein Herr von der EVP-Kandidatin Seraina Herzberg wissen.
Er fragt dies aber mit einem charmanten Lächeln, wie es sich für ein Date gehört. Sein Gegenüber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und erklärt, in einer kleinen Partei gebe es weniger Machtansprüche, mehr Gemeinschaft, man könne eher mal das Zünglein an der Waage spielen.
«Und wie finden Sie die Botschaft von Somalia?»
Und Zurfluh? Der hat Fragen. Von seinem ersten Date, Ruth Müri, Kandidatin der Grünen und Stadträtin in Baden, will er wissen, was sie denn davon halte, dass die Polizei ein Rayonverbot gegen ihn ausgesprochen habe und er deshalb in Baden für ein paar Tage keinen Wahlkampf habe betreiben können. Müri erklärt ihm, das sei Sache der Polizei und sie wolle sich nicht näher dazu äussern. Nein, Einfluss auf diese Wegweisungsverfügung könne sie nicht nehmen. Inzwischen wurde das Rayonverbot gegen Zurfluh aufgehoben, der Kandidat war mit seiner Beschwerde dagegen am Verwaltungsgericht erfolgreich.
Auch Irène Kälin, Präsidentin von Arbeit Aargau sowie National- und Ständeratskandidatin der Grünen, stellt sich dem Date mit dem Vertreter der Musikpartei. Zurfluh hat Fragen zu afrikanischen Staaten, etwa zur Landwirtschaft in Niger oder zur somalischen Botschaft in Genf. Bald werfen sich die beiden gegenseitig Fakten an den Kopf, ohne dass gegenseitige Zuneigung spürbar wäre – nicht jedes Date ist ein Match.
Mit Charme zur Panaschierstimme
Doch die allermeisten Begegnungen verlaufen erfreulich, sogar zwischen denen, die das Heu nicht auf der gleichen politischen Bühne haben. «Sind Sie mir böse, wenn ich nicht FDP wähle?», fragt ein älterer Herr. «Ich finde es wichtig, dass Sie überhaupt wählen», entgegnet die Freisinnige Irina Bannwart. Wer weiss, vielleicht bekommt sie für die Antwort eine Panaschierstimme.
Und auch sehr konkrete Fragen werden gestellt: «Was hat die SP alles für Unterlisten?», wollte einer von Mia Jenni wissen. Tapfer zählte diese die sechs Unterlisten auf. «Ist das für die Wählerinnen und Wähler nicht verwirrend?» Ein tiefes Seufzen. «Das Problem ist, dass das alle machen.» Mehrere SP-Wähler nicken zustimmend und beginnen über die Mitte zu fluchen, «die vor vier Jahren mit diesem Seich begonnen hat».
Kälin und Suter begrüssen sich – mehr nicht
Es hat an diesem Abend Platz für viele aussergewöhnliche und auch persönliche Fragen. Die Wählerinnen und Wähler erfahren etwas über Gabriela Suters Zeit als Kantilehrerin oder dass Irène Kälin ein Fan von Mani Matter ist. Dass das Verhältnis zwischen den Kandidatinnen von SP und Grünen höchst angespannt ist, zeigte sich Ende August. Damals sagte Kälin, sie hätte mit Suter die grössten zwischenmenschliche Probleme, wenn beide in den Ständerat gewählt würden.
Am Anlass von Arbeit Aargau begrüssen sich die beiden kurz, danach kommt es aber weder zu einer Auseinandersetzung, noch zu einer Versöhnung. Suter und Kälin stehen an ihren Tischen und unterhalten sich, wie die anderen Kandidierenden auch, mit den Besucherinnen und Besuchern.
Diese zeigen sich interessiert und fragen auch direkt nach, wenn sie mit Begriffen wie «ethische Wirtschaft» nichts anfangen können. Für manchen ist wohl schon vor dem ersten Wort klar, dass es «funkt», und dann darf man mit Lelia Hunziker (SP) auch über die FDP, Steuergeschenke und die Märchen der Rechtsbürgerlichen lästern.
Auch Irène Kälin zieht am Ende des Abends eine positive Bilanz. «Auf einem Podium kann man häufig nur noch das sagen, was die anderen noch nicht gesagt haben – und man kennt die Position der Teilnehmenden.» Beim Kandidierenden-Speed-Dating habe man sich auf einen persönlichen Austausch einlassen können, und auch die Schüchternen hätten sich mit der Zeit getraut, Fragen zu stellen.
Wie viele Pfeile der Polit-Amor an diesem Abend verschossen hat, bleibt offen. Für diejenigen Kandidatinnen und Kandidaten, die es nach Bern schaffen, war der Abend aber sicherlich eine gute Vorbereitung – mit ungewöhnlichen Fragen dürften jetzt die meisten umzugehen wissen.