Eine «vergiftete» Umarmung? Hillary Clinton, Amerikas unbeliebteste Politikerin, erteilt Kamala Harris Ratschläge
Wir wissen nicht, ob Hillary Clinton von der «New York Times» angefragt wurde – oder ob sie sich der Redaktion selbst angeboten hat. Jedenfalls ist in der wohl einflussreichsten amerikanischen Zeitung ein grosser Gastbeitrag erschienen mit dem Titel: «Wie Kamala Harris gewinnen und Geschichte schreiben kann.» Clinton hat ihn über ihre eigenen Kanäle sogleich geteilt:
Clinton ist, wohl mehr als jede andere Politikerin, kompetent und legitimiert, Ratschläge zu erteilen – schliesslich bringt die 76-Jährige Erfahrungen aus einem reichen politischen Leben mit. Und aus ihrem eigenen Präsidentschaftswahlkampf von 2016. Aber ist ihre Offensive auch schlau?
Clinton scheiterte 2016 unerwartet gegen Donald Trump. Das damalige Wahlergebnis wurde weniger als Votum für Trump als eines gegen Clinton interpretiert. Die ehemalige Aussenministerin und First Lady ist in den USA sehr unbeliebt. Darum liest man auf Social Media nun zu ihrem «New York Times»-Essay Sätze wie: «Warum hat Hillary nicht geschwiegen!» oder «Hätte sie ihre Tipps doch einfach Kamala geschickt statt sie mit der ganzen Welt geteilt.»
Trotzdem, Clintons Ratschläge sind lesenswert. Das sind die wichtigsten neun Aussagen:
Chancen des Neuanfangs ausspielen: Clinton zeigt sich begeistert, dass Harris einen Neuanfang für die amerikanische Politik darstellt. Harris sollte darum eine Vision der Hoffnung bieten, um Donald Trump zu besiegen, einen verurteilten Straftäter, der sich nur für sich selbst interessiere.
Desinformation bekämpfen: Clinton warnt Harris vor den unvermeidlichen Verleumdungen aus dem gegnerischen Lager. Sie rät Harris‘ Wahlkampfteam, den Lärm der Desinformation zu durchdringen und fordert die Wähler auf, achtsam mit den Informationen umzugehen. Sie spreche aus Erfahrung, schreibt Clinton, sie sei als «Hexe» und «böse Frau» dargestellt worden.
Sexismus und Rassismus überwinden: Nicht nur als Frau, auch als erste schwarze und südasiatische Kandidatin werde Harris vielen Angriffen ausgesetzt sein. Clinton rät, keine Angst zu haben. Es sei eine Falle, zu glauben, Fortschritt sei nicht möglich.
Junge ansprechen: Clinton betont die Dringlichkeit, den Wahlkampf zu organisieren und skeptische Leute, insbesondere junge Menschen, anzusprechen. Sie verweist auf jüngste Erfolge von linken Koalitionen in Grossbritannien und Frankreich als Beispiele dafür, was in kurzer Zeit erreicht werden kann.
Errungenschaften hervorheben: Harris solle als amtierende Vizepräsidentin die Erfolge der Biden-Administration hervorheben, wie die wirtschaftliche Erholung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und erfolgreiche parteiübergreifende Gesetzgebung zu Infrastruktur und Klimaschutz.
Erfahrung in der Strafverfolgung betonen: Clinton glaubt, dass Harris’ Hintergrund als Generalstaatsanwältin in Kalifornien sowie ihre rigorosen Befragungen, für die sie als US-Senatorin bekannt war, im Wahlkampf hilfreich sein werden. Vor allem, um Trumps Angriffe zu Einwanderung und Kriminalität zu parieren. Sie könne Trumps Behauptungen glaubwürdig kontern.
Für Frauenrechte eintreten: Harris’ Rolle als Verfechterin der Rechte von Frauen sei sehr glaubwürdig und wichtig, vor allem nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Roe v. Wade aufzuheben. Die republikanischen Angriffe auf die Abtreibungsrechte würden viele Wählerinnen zu Gunsten der Demokraten mobilisieren.
Einen klaren Kontrast präsentieren: Clinton ermutigt Harris, die Unterschiede zwischen ihrer Vision und Trumps Agenda deutlich zu machen. Sie warnt davor, dass eine zweite Amtszeit Trumps extremer und schädlicher für das Land wäre als die erste. Das müsse Harris aufzeigen.
Moralische Klarheit bewahren: Bidens Entscheidung, sich zurückzuziehen, bezeichnet Clinton als «patriotischen Akt und eine Demonstration moralischer Klarheit». Harris sollte ähnliche Werte verkörpern und die Bedürfnisse des Landes über persönliche Ambitionen stellen.
Bereits vor ihrem Essay machte sich Hillary Clinton für eine Kandidatur der 59-jährigen Harris stark. Als eines der ersten Schwergewichte der demokratischen Partei stellte sie sich hinter die Vizepräsidentin – gemeinsam mit ihrem Mann, dem Ex-Präsidenten Bill Clinton.
Auffälliger Kontrast zu Barack Obama
Das schnelle «Endorsement» steht in auffälligem Kontrast zu Barack Obama, der sich bislang nicht zu Harris geäussert hat. Obama, die populärste und Figur der Demokraten, schweigt nicht, um Harris zu schaden, wie er (wohl gezielt) aus seinem Umfeld verlauten lässt. Sondern um den Eindruck zu vermeiden, das Partei-Establishment kröne die Vizepräsidentin in einer konzertierten Aktion, ohne dass die Parteibasis dazu etwas sagen kann.
Die Clintons, der Inbegriff der Elite schlechthin, haben einen anderen Weg gewählt. Und nähren damit die wildesten Verschwörungstheorien: Harris plane, Hillary Clinton zu ihrer Vizepräsidentin zu machen, diese Behauptung geisterte bereits auf der Plattform X herum, obwohl es dafür keinerlei Hinweise gibt und sie auch als absurd erscheint.
Harris und Clinton hatten schon früh einen guten Draht zueinander. Nach ihrem holprigen Start ins Amt der Vizepräsidentin 2021 suchte Harris den Rat der Ex-Präsidentschaftskandidatin. Clinton gab ihre Ratschläge aber nicht öffentlich, sondern nur gegenüber Harris selbst preis, wie die «New York Times» damals berichtete.