Demonstranten fordern Militärputsch – der abgewählte Jair Bolsonaro schweigt
Am Tag nach seinem Wahlsieg bastelte Luiz Inácio Lula da Silva schon an der Zukunft. Er sann am Montag über die künftigen Regierungsmitglieder nach, beauftragte ein Team, die Amtsübergabe Anfang Januar vorzubereiten, und empfing einen ersten Staatsgast. Argentiniens Präsident Alberto Fernández schaute aus Buenos Aires mal eben für ein kurzes Treffen beim designierten Staatschef Brasiliens in São Paulo vorbei. Auf eine herzliche Umarmung folgten Fotos für die Presse und eine kurze Unterredung unter alten Freunden und künftigen Kollegen.
Fernández und Lula da Silva sind sich als Linkspolitiker lange verbunden, der Argentinier hatte Lula auch in seiner 580-tägigen Haft im Knast in Curitiba besucht. Heute wirkt das alles wie aus einer anderen Zeit.
Während der Wahlsieger schon an der Zukunft arbeitet, hat der Wahlverlierer noch grosse Probleme damit, die Gegenwart zu sortieren. Jair Bolsonaro, der am Sonntag mit 2,2 Millionen Stimmen Lula äusserst knapp unterlegen war, blieb auch den ganzen Montag abgetaucht. Das ganze Land wartete darauf, dass er sich endlich zu dem Wahlergebnis äussert und seine Niederlage eingesteht.
Am späten Abend (Ortszeit) hiess es von seinem Sprecher, der Amtsinhaber wolle sich am Dienstag in einer Rede an die Nation erklären. Gerüchten zufolge wolle er in dieser Rede die Justiz kritisieren, den Wahlsieg Lulas aber anerkennen. Nur eine Gratulation an seinen Herausforderer komme nicht in Frage.
Demonstranten fordern Militärputsch
Unterdessen schufen Brasiliens LKW-Fahrer, die zu Jair Bolsonaros grössten Verteidigern gehören, vollendete Tatsachen. An rund 300 Punkten im ganzen Land sperrten sie Strassen, brachten den Verkehr zum Erliegen und forderten einen Militärputsch. Ihnen passte schlicht das Wahlergebnis nicht. Nachdem die Verkehrspolizei zwar mit den Fahrern redete, aber keine Anstalten machte, die Blockaden aufzulösen, wies die Justiz die Polizei am Montagabend an, die Sperren aufzuheben. Verfassungsrichter Alexandre Moraes drohte dem Direktor der Bundesverkehrspolizei mit Festnahme, sollte er sich den Anordnungen widersetzen.
Es ist ein erster kritischer Moment nach der Wahl, vor dem sich viele gefürchtet haben, der zudem Eskalationspotenzial birgt. Bolsonaro hatte immer wieder damit gedroht, eine Niederlage an der Wahlurne nicht anzuerkennen. Beobachter äusserten den Verdacht, Bolsonaro schweige bewusst und lasse die sich aufbauenden Proteste einfach geschehen.
Jair Bolsonaro zahlt den LKW-Fahrern und auch den Taxi-Fahrern monatlich Geld, spendiert Tankgutscheine. Unterstützung, die offiziell als Coronahilfe deklariert ist, die aber eigentlich für solche Moment wie jetzt gedacht war. Sich loyale Unterstützer zu kaufen, die ihm auf illegale Weise dabei helfen zu erreichen, was er legal verpasst hat. Das Festhalten an der Macht. Und die Transportinfrastruktur ist in dem riesigen Land für Versorgung der Bevölkerung und Aufrechterhaltung der Exportwirtschaft entscheidend.
Gouverneur von São Paulo: «das Ergebnis an der Wahlurne unanfechtbar»
Lula da Silva forderte am Montag vom amtierenden Staatschef einen «geordneten Übergang» ein und sagte, Bolsonaro habe ihn noch nicht angerufen: «Ich weiss auch nicht, ob er es tun wird.» Das Wahlgesetz sieht vor, dass die Vorbereitung der Amtsübergabe 48 Stunden nach der Feststellung des Wahlergebnisses beginnen muss. Dabei ist es unerheblich, ob die unterlegene Partei die Niederlage öffentlich anerkennt, aber es ist wichtig, dass sie die Übergangskommission ernennt.
Nach Ablauf der Frist kann der Wahlsieger juristische Schritte einleiten. «Wir wollen das aber nicht vor Gericht bringen», sagte Gleisi Hoffmann, Bundesvorsitzende der von Lulas Arbeiterpartei PT, am Montag.
Bislang hat sich Bolsonaro offenbar sogar geweigert, mit seinen Verbündeten zu sprechen, von denen viele bereits ihre Niederlage eingestanden haben. So zum Beispiel Tarcísio de Freitas, gewählter Gouverneur von São Paulo, ein Militäroffizier, der dem Präsidenten sehr nahesteht. De Freitas sagte, dass «das Ergebnis an der Wahlurne unanfechtbar» sei. Er bot sich an, mit Lula zu sprechen, wenn es nötig sei.
Wichtigste Wahl in der jüngeren Geschichte des Landes
Der Sieg des Linkspolitikers Lulas in der Stichwahl am Sonntag war der Triumph der Hoffnung über die Angst, ein Erfolg des Konsenses über die Spaltung. Der Showdown zwischen dem radikal rechten Jair Bolsonaro (67) und dem linksliberalen Luiz Inácio Lula da Silva (77) galt als die wichtigste Wahl in der jüngeren Geschichte des grössten und wichtigsten Landes Lateinamerikas. Und sie glich nach Monaten eines harten und schmutzigen Wahlkampfes am Ende einem Herzschlagfinale.
Demnach stimmten 50,90 Prozent der Wahlberechtigten für den Politiker der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores). Für Bolsonaro votierten demnach 49,10 Prozent. Es war das knappste Wahlergebnis, seit das südamerikanische Land vor 37 Jahren zur Demokratie zurückkehrte. Und erstmals schaffte es ein Amtsinhaber nicht, für eine zweite Amtszeit wiedergewählt zu werden.