Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Macrons Frankreich ist angespannt: Würde sich das mit Le Pen ändern?
Der Wahlkampf in Frankreich wird in der Schweiz aufmerksam mitverfolgt – und das aus gutem Grund. Schliesslich sind die beiden Länder eng miteinander verbunden. Frankreich stellt das fünftgrösste Exportland für hiesige Unternehmen dar und beherbergt über 200’000 Schweizerinnen und Schweizer – so viel wie kein zweites Land ausserhalb der Schweiz. Das gilt jedoch auch umgekehrt: Rund 145’000 Personen aus Frankreich wohnen und weitere 180’000 arbeiten hierzulande.
Trotz dieser engen Verflechtungen hat sich das schweizerisch-französische Verhältnis unter Präsident Emmanuel Macron abgekühlt. Während seiner fünf Jahre im Élysée stattete er der Schweiz im Gegensatz zu seinem Vorgänger François Hollande keinen einzigen Staatsbesuch ab.
Kampfjet-Entscheid sorgte für Verstimmung
Einen Tiefpunkt erreichten die Beziehungen im letzten Frühsommer: Zuerst brach der Bundesrat die Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen mit der EU ab. Kurze Zeit später entschied sich die Regierung auch noch für die amerikanischen Kampfjets F-35. Das stiess Frankreich sauer auf – ging man doch bis zuletzt von einem Zuschlag für den französischen Kampfjet Rafale aus.
Frankreichs Europa-Staatssekretär äusserte sich mit den Worten, dass sich die Schweiz entschieden von Europa abwende. Und ein französischer EU-Abgeordneter der Partei Macrons griff in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen zum verbalen Zweihänder: «Die Schweiz zeigt uns gleich zweimal den Mittelfinger. Zuerst beim Rahmenabkommen und jetzt mit dem Kauf des amerikanischen Kampfflugzeugs.»
Gewisse Schweizer Politiker geben jedoch auch Frankreich eine Mitschuld an der Verstimmung zwischen den beiden Ländern. So wirft die Genfer Partei Mouvement citoyens genevois (MCG) Emmanuel Macron vor, die Schweiz bei den Verhandlungen mit der EU «zu keinem Zeitpunkt» unterstützt zu haben. Manche seiner Vorgänger hätten sich für die Anliegen ihres Nachbarlandes eingesetzt, sagt Generalsekretär François Bärtschi. Als Beispiel nennt er François Mitterrand (1981 bis 1995), der während seiner Amtszeit acht Mal in der Schweiz zu Besuch war.
«Bei Macron habe ich dagegen den Eindruck, dass er mit unserer direkten Demokratie nichts anfangen kann.»
Natürlich dürfte diese Einschätzung des Genfer Politikers auch politisch motiviert sein. Denn in der Migrations- und Europapolitik vertritt der MCG eine ähnliche Linie wie Macrons Herausforderin Marine Le Pen von der französischen Rechtspartei Rassemblement National. Es gibt jedoch keine offiziellen Verbindungen zwischen den beiden Parteien und in manchen Bereichen nehmen sie zudem unterschiedliche Positionen ein. So stört sich Generalsekretär Bärtschi daran, dass Le Pen mit ihrer zentralistischen Einstellung keinen Spielraum für lokale Lösungen der Grenzgänger-Problematik im Einzugsgebiet von Genf ermöglichen dürfte.
Warum Le Pen die Schweiz bewundert
Nicht von der Hand zu weisen ist der Umstand, dass Macron von der Schweizer Direktdemokratie wenig angetan scheint. Er lehnt einen Ausbau direktdemokratischer Mittel in Frankreich ab und setzt lieber auf unverbindliche Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger. Dies im Gegensatz zu seiner Kontrahentin Marine Le Pen: Sie hegt grosse Sympathien für die Schweiz und will in Frankreich nach helvetischem Vorbild regelmässig Volksabstimmungen durchführen lassen.
In der Aussenpolitik strebt Le Pen ein «Europa der Nationen» anstelle der föderalen EU an. Sie will die Souveränität der Nationalstaaten stärken und schloss in ihre Überlegungen dabei explizit auch die Schweiz ein. Könnte sich die Wahl Le Pens somit als Vorteil erweisen, weil sie für die Anliegen der Schweiz gegenüber der EU ein offenes Ohr hätte?
Bei der Genfer Partei Mouvement citoyens genevois geht man zumindest davon aus, dass es nicht schlechter werden kann als unter der Ägide Macrons. «Le Pen zeigt in Sachen Europapolitik für die Schweiz positive Absichten. Wie sich ihre Wahl aber konkret auswirken würde, ist schwierig abzuschätzen», sagt François Bärtschi.
Abwahl Macrons würde Unsicherheit bringen
Von einem negativen Effekt einer Wahl Le Pens für die Verhandlungsposition der Schweiz spricht hingegen die Wirtschaft. Marco Taddei, Direktor des Arbeitgeberverbandes in der Romandie, geht davon aus, dass das Dossier der Schweiz in der EU nach hinten rücken würde. «Wie der Brexit im Jahr 2016 dürfte eine Wahl Le Pens in Frankreich zur grössten Sorge der Europäischen Union werden.»
«Entsprechend ist zu befürchten, dass die Verhandlungen um ein neues Abkommen mit der Schweiz nicht mehr Priorität hätten.»
Taddei verweist zudem darauf, dass eine Wahl Le Pens nebst der Coronakrise und dem Ukraine-Krieg eine zusätzliche Unsicherheit für die hiesige Wirtschaft darstellen würde. «Unter Macron können wir auch künftig mit stabilen Beziehungen zu den französischen Firmen rechnen», sagt der Vertreter der Arbeitgeberschaft. Aus seiner Sicht sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und Macron – abgesehen von den Turbulenzen nach dem Kampfjet-Entscheid – intakt. «Bei Le Pen lässt sich dagegen schwer sagen, wie sich ihre nationalistischen Ideen auf den zwischenstaatlichen Handel auswirken», so Taddei.
«Klar ist nur, dass solche Unsicherheiten nie gut für die Wirtschaft sind.»