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SVP-Präsident will Listenverbindungen mit FDP – ausgerechnet in seinem Heimatkanton ist das undenkbar
SVP-Präsident Marco Chiesa sucht den wahltaktischen Schulterschluss mit der FDP: Er möchte für die Nationalratswahlen im Herbst 2023 Listenverbindungen in möglichst vielen Kantonen. «Wir wollen flächendeckende Listenverbindungen mit der FDP», sagte der Ständerat aus dem Tessin Ende Januar bei der Delegiertenversammlung seiner Partei. Wenn die Linke wegen fehlender Listenverbindungen zusätzliche Gewinne verbuchen werde, liesse sich die Schuld bei der FDP suchen.
Während in einigen Kantonen Listenverbindungen zwischen SVP und FDP durchaus Tradition haben, ist eine solche im Heimatkanton Chiesas undenkbar. «Wir haben eine Vereinbarung mit der Lega dei Ticinesi, die eine Listenverbindung bei den nationalen Wahlen beinhaltet», sagt SVP-Kantonalpräsident und Nationalrat Piero Marchesi.
Dank dieser Vereinbarung hätten bei den Nationalratswahlen 2019 die Lega und die SVP je einen Nationalrat stellen können. Das Kooperationsabkommen beinhaltet sogar eine gemeinsame Liste bei den Staatsratswahlen, welche im Kanton Tessin in diesem April anstehen, ausserdem eine gemeinsame Liste bei den Gemeindewahlen in Lugano von 2024.
Die traditionell engen Bande zwischen der Tessiner SVP und der Lega zeigen sich auch in der Person von Norman Gobbi, der für die Lega in den Staatsrat gewählt, aber 2015 von der SVP-Kantonalpartei als Bundesratskandidat portiert wurde. Wichtig zu wissen ist, dass die Lega als populistische Rechte im Kanton Tessin viel mehr Wähleranteile aufweist als die SVP und im Staatsrat sogar mit zwei von fünf Magistraten die relative Mehrheit stellt. Die Volkspartei war immer nur der Juniorpartner auf der Rechten. Doch in jüngster Zeit ist die SVP im Kanton Tessin politisch erstarkt, gerade weil sie – im Gegensatz zur Lega – eine Oppositionspartei ist.
Auch die FDP winkt ab
Und was denken die Tessiner Liberalen? «Wir haben viele Gemeinsamkeiten mit der SVP, etwa in Finanz- und Wirtschaftspolitik, aber auch viele Unterschiede, etwa in der Europapolitik und in Bezug auf die Personenfreizügigkeit», hält der Tessiner FDP-Kantonalpräsident Alessandro Speziali seinerseits fest. «In vielen Kantonen ergibt eine Listenverbindung Sinn, nicht aber bei uns», ergänzt er.
Tatsächlich: Schon nur die Kooperation zwischen FDP und Mitte bei den Ständeratswahlen 2019 war ein Eigentor und wurde von der Wählerschaft nicht goutiert. Filippo Lombardi (Mitte) wurde als bisheriger Ständerat abgewählt, Giovanni Merlini konnte den FDP-Sitz nicht verteidigen. Marco Chiesa und SP-Nationalrätin Marina Carobbio zogen für den Kanton Tessin ins Stöckli ein. Eine Sensation.
Marco Chiesa weiss natürlich, dass die Kantonalparteien über allfällige Listenverbindungen entscheiden und die Lage je nach Kanton sehr unterschiedlich ist. Aus dem Wallis wurde bereits signalisiert, dass eine Listenverbindung von SVP und FDP bei den Nationalratswahlen kaum denkbar ist.
Druck auf die FDP
Der Politologe Oscar Mazzoleni, Leiter des Observatoriums für Regionalpolitik an der Universität Lausanne, vermutet denn auch, dass sich hinter Chiesas Aufforderung zur Bildung von Listenverbindungen eigentlich andere Botschaften verbergen. Er wolle damit politisch Druck auf die FDP aufbauen, damit sie SVP-Positionen stärker unterstütze. Andernfalls könnte die SVP die Wiederwahl der beiden FDP-Bundesräte in Frage stellten.
Und in seinem Heimatkanton ging es ihm auch um die eigene Wiederwahl als Ständerat im Herbst. Als Vertreter einer Partei, die weniger als 10 Prozent der Wählerstimmen habe, sei er auf externen Sukkurs angewiesen. Eine allfällige Kandidatur von Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi für den Ständerat könnte für Chiesa eine Gefahr darstellen. Der FDP hat er laut Mazzoleni jetzt schon klar signalisiert, wen es zu unterstützen gilt. Denn ohne eine Bestätigung als Ständerat wäre wahrscheinlich die Karriere Chiesas als Bundespolitiker und vermutlich auch als nationaler SVP-Präsident beendet.