«Papa, du bist Telefonist»: Die (wohl) beste Rede des Tages vom scheidenden Aargauer Bundeskanzler
Hier die Rede zum Nachlesen:
Sehr geehrter Herr Präsident,Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin,Verehrte Mitglieder der Bundesversammlung,Geschätzte Mitglieder des Bundesrates,Sehr geehrte Gäste,Mit Reden nach dem Rücktritt sollte man bekanntlich vorsichtig sein. Ständerat Arthur Hänsenberger sagte jeweils: «Es ist eine Gnade, wenn man erkannt hat, dass man nichts mehr zu sagen hat, und trotzdem schweigt». Ich beschränke mich deshalb auf einen Dank und auf eine Beobachtung.Mein Dank gilt den Mitgliedern des Bundesrates, insbesondere für das Vertrauen, das sie ihrem Stabschef entgegengebracht haben. Je länger ich dabei war, desto grösser wurde mein Respekt vor der Arbeit, der Verantwortung und der Belastung, die mit dem Bundesratsamt verbunden sind. Ich habe sie nie um ihr Mandat beneidet. Darüber hinaus hatte ich viel den besseren Titel.Ich danke der Mitte-Partei, die mich stets unterstützt hat, und dem Parlament, auch wenn ich zugeben muss, dass der Verkehr mit der Legislative zuweilen für spezielle Erfahrungen sorgte: 1991 wurde ich das erste Mal an eine Kommissionssitzung eingeladen. Es war bei der damals schwierigsten aller Kommissionen, der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates (heute ist das natürlich anders). Was ich bei dieser ersten Sitzung genau sagte, weiss ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich gut an jene Bibelstelle, die ich vor meiner zweiten Sitzung konsultierte: Tobias, Kapitel 6, Vers 3: «Oh Herr, er will mich fressen». Später habe ich gemerkt: Es gibt auch Kommissionsmitglieder, die einen nicht fressen. Überhaupt: Oft fallen sie nicht übereinander her, sie tun nur so. Und natürlich hoffe ich sehr, dass das in Zukunft auch so bleiben wird.Und schliesslich und vor allem möchte ich meiner Frau und meinen Kindern danken. Für ihre Nachsicht, ihre Geduld und ihre Unterstützung. Als unser Sohn sieben Jahre alt war, erklärte er während dem Essen stolz, er habe sich für den Beruf eines Baggerführers entschieden. Ich nickte zustimmend und fragte ihn, ob er eigentlich wisse, was ich von Beruf sei. «Ja, Papa», antwortete er ohne zu zögern, «Du bist Telefonist».Meine Beobachtung gilt unserer direkten Demokratie. Denn in der Bundeskanzlei, die für die politischen Rechte zuständig ist, ist mir mehr als einmal bewusst geworden, wie wichtig die Voraussetzungen sind, damit unser politisches System mit seinen Initiativen, Referenden, Wahlen und Abstimmungen überhaupt funktionieren kann. Ich denke dabei nicht in erster Linie an Gesetze und Verordnungen, sondern an ein Grundverständnis unserer politischen Ordnung, an Errungenschaften wie den sozialen Ausgleich zwischen reich und arm, den Föderalismus, die Medienvielfalt und die politische Meinungsbildung, den Respekt vor der Gewaltenteilung, den Minderheitenschutz, die politische Kultur, den Sprachenfrieden und die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn uns die internationale Entwicklung der vergangenen Jahre etwas gelehrt hat, dann ist es dies: Keine politische Entwicklung ist unumkehrbar. Nichts ist selbstverständlich in der Politik. Keine Demokratie bleibt eine, nur weil sie schon lange eine war. Und natürlich hat alles, worauf wir später betroffen zurückschauen, schon viel früher begonnen, als man dachte, und sicherlich nicht erst dann, als es bereits zu spät war.Sehr vieles hat sich in Bundesbern verändert, seit ich zu meiner Überraschung bei den Bundesdiensten zugelassen wurde. Damals gab es im Bundeshaus noch Schreibmaschinen. Vor dem Parlamentsgebäude war ein riesiger Parkplatz. Und neben der Nationalbank – man glaubt es kaum, aber auf ganz alten Fotos kann man das erkennen – standen noch keine Kräne und Container-Baracken.Vieles darf und soll sich verändern. Aber zur direkten Demokratie und deren Voraussetzungen, zu den vielen kleinen und grossen Dingen, die nur bestehen, weil sie von einer deutlichen Mehrheit getragen und geteilt werden – und zwar nicht, weil sie verordnet sind, sondern aus Überzeugung darüber, dass dies eben die Schweiz ausmacht – dazu sollten wir unbedingt Sorge tragen. Viel zu viel hängt davon ab.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und für die Zusammenarbeit. Für meine Wahl und für die Wiederwahl. Für mich war es eine Ehre, für unser Land arbeiten zu dürfen. Es ist das beste Land, das ich kenne. «Händ Sorg zuenem.» Vielen Dank.