Was leider oft vergessen geht: Haustiere brauchen viel Geduld und Zeit
Eine junge Frau steht tränenüberströmt am Empfang des Tierheimes. Sie musste aus persönlichen Gründen ihren Hund abgeben. Ein Anblick, der berührt. Samantha Fahrni, die seit 2010 im Tierheim arbeitet, kennt solche Szenen. «Natürlich ist es sehr hart, so etwas zu erleben. Aber man muss einen Weg finden, damit umzugehen», erzählt die Tierpflegerin EFZ, die im Tierheim ihre Ausbildung absolviert hat. Ein Hund oder eine Katze sind oft der sehnlichste Wunsch – sind sie doch langjährige und treue Weggefährten. Doch ändern sich die Lebensumstände, kann die Freude schnell in Trauer umschlagen. Samantha Fahrni findet es gut, wenn betroffene Personen sich dann an ein Tierheim wenden. «Auch wenn die Entscheidung extrem hart ist – es ist besser, wenn man sich eingesteht, dass die Tierhaltung nicht mehr möglich ist.» Entscheidungen müssen auch immer zum Wohl des Tieres getroffen werden.
Geduld und Zeit sind oft das Problem
Riesige Pfoten, tapsiges Verhalten, kugelrunde Augen … Hundewelpen wickeln einen schnell um den Finger. Doch frischgebackene Hundebesitzer unterschätzen oft die Aufgaben, die sie erwarten. Hundeschule, Zeit zum Spazierengehen, Grunderziehung oder den Kleinen stubenrein bringen sind Aufgaben, die viel Geduld und Zeit erfordern. In den Jahren im Tierheim erlebte Samantha Fahrni unterschiedliche Entwicklungen, die dazu führen, dass ein Tier plötzlich bei ihnen landet. «Den Menschen fehlt es oft an der notwendigen Geduld. Am liebsten wäre es ihnen, wenn alles sofort von Anfang an einwandfrei funktionieren würde. Aber das tut es nun mal nicht.»
Grundlegend muss sich ein potentieller Hunde- oder Katzenbesitzer mit vielen Fragen auseinandersetzen, bevor er überhaupt ein Tier anschafft. Kommt der Hund mit in die Ferien, wer versorgt die Katze zu Hause oder nimmt sie im Krankheitsfall oder während der Urlaubszeit? Hat jemand die notwendige Zeit, um regelmässig laufen zu gehen, vor allem in Hinblick auf die Bedürfnisse des Vierbeiners?
Ein Beispiel ist Rocky. Der American Akita lebt seit drei Jahren im Tierheim. Der Riesen-Knutschbär sieht aus, als ob er immer grinsen würde, ist extrem verschmust und hat ein gesundes Mass an Grunderziehung. Aber mit seinem Gewicht von rund 40kg und dem grossen Bedürfnis nach Beschäftigung ist er nicht für unerfahrene Erstbesitzer mit zu wenig Zeit geeignet. Gerade Akitas brauchen eine liebevolle, gewaltfreie Erziehung. Nur so können sie eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Besitzer aufbauen. Akitas sind sogenannte Arbeitshunde – sie brauchen Aufgaben, viel Beschäftigung und liebevolle Aufmerksamkeit.
Während dem Gespräch mit Samantha Fahrni trottet Rocky durch die Wiese, kommt immer wieder zurück zum Schmusen. «Stress hat er keinen. Rocky hat sich gut eingelebt», so die Tierpflegerin. Anfragen gibt es immer wieder, aber für viele sei der Hund schlichtweg nicht geeignet.
Möglichst jung, problemlos und gesund
Ein Besuch bei den Katzen des Tierheims macht deutlich, wie traurig die Situationen sein können. Katze «Shina» ist acht Jahre alt und lebt seit knapp drei Jahren im Tierheim. Sie ist etwas scheu und hat leichten chronischen Katzenschnupfen. Ein Lebewesen, dem niemand mehr ein Zuhause geben möchte. Sie wäre ein typischer Fall, der viel Zeit und Geduld brauchen würde. Jungspund «Juli» hingegen ist eine fünf Monate alte Katze, die im Januar in ihr neues Zuhause ziehen wird. Sie ist aufgeweckt, lustig und verspielt.
Derzeit leben elf Katzen im Tierheim Arolfingen. Für die meisten wird es mehr als schwierig, neue Besitzer zu finden. «Wir wurden kürzlich aufgeboten, weil sich junge Katzen auf einem Areal befanden. Wir mussten sie mit Fallen einfangen. Sie sind verängstigt und scheu.» Damit es ein bisschen leichter wird, wurden die Gehege mit Tüchern abgedeckt, damit sie sich besser zurückziehen können. Einige Hunde und Katzen finden kein neues Daheim, weil sie «zu alt» sind. Eine traurige Tatsache. Denn egal in welchem Alter – jedes Tier hätte es doch verdient, einen guten Platz zu finden.
Bei den Hasen sieht es nicht besser aus. Im oberen Stockwerk leben vier Nymphensittiche und einige Hasen. Die flauschigen Langohren landen oft im Tierheim, weil ihr «Gspänli« gestorben ist. Der verbliebene Hase soll keinen neuen Kumpel mehr kriegen – also gibt man ihn ab. Hasen sind gesellige Tiere und sollten nicht unbedingt alleine gehalten werden. Die Verpflichtung, die man eigentlich eingeht, wenn man sich ein Tier holt, ist dann oft aber schon wieder zu viel. In diesem Fall wäre ein neuer Freund das Richtige. Doch stattdessen kommt das Bewusstsein, dass man gar keine Lust mehr hat und die Verantwortung komplett abgeben möchte.
Wenn Kinder sich ein Tier wünschen, sind die Eltern in der Verantwortung. «Eltern müssen sich einfach bewusst sein, dass die Arbeit mit einem Haustier an ihnen haften bleibt. Wenn sich Kinder eine Katze oder einen Hund wünschen, können sie sicherlich bestimmte Aufgaben übernehmen. Andere hingegen nicht.» Samantha Fahrni weist darauf hin, dass Kinder nicht immer geeignet sind, um zum Beispiel mit einem Hund regelmässig laufen zu gehen. Dann müssen Mami und Papi ran. Katzenkisten sauber machen und putzen gehören auch nicht immer zu den Lieblingsbeschäftigungen, muss aber sein. Die Anschaffung eines neuen Familienmitgliedes sollte eine Entscheidung sein, die gemeinsam und mit Bedacht gefällt wird. Dem eigenen Sprössling seinen Herzenswunsch zu erfüllen, ist das eine. Aber die langjährige Verantwortung zu tragen das andere.
Ob Katze, Hund, Hamster oder Vogel. Jedes Tier hat seine eigenen Bedürfnisse in Bezug auf Vergesellschaftung, Zeit, Beschäftigung und Platz. Die Kernaussage «Tiere gehören nicht unter den Weihnachtsbaum» stimmt zwar. Aber die grundlegenden Überlegungen vor der Anschaffung und die bewusste Entscheidung für ein Tier, müssen zu jeder Jahreszeit getroffen werden. Dass es nach den beliebtesten Feiertagen im Jahr zu vermehrten Anfragen für eine Aufnahme kommt, kann Samantha Fahrni so nicht bestätigen. «Derzeit haben wir durchschnittlich zwei bis drei Anfragen pro Woche, ob wir einen Hund aufnehmen können.» Von ihren Kollegen im Tierheim weiss sie, dass nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen die Anfragen explodiert seien. Sie selbst war zu der Zeit im Mutterschutz und hat es nicht direkt miterlebt.
Schliesslich läuft es aber immer auf das Gleiche raus – egal zu welcher Jahreszeit, ob mit Pandemie oder ohne. Wenn der Mensch nicht denkt, leidet das Tier. Wer wirklich tierlieb ist, aber die Entscheidung treffen muss, dass er selbst keines haben kann, hat immer noch die Möglichkeit, eine Tierpatenschaft zu übernehmen. «Wir sind ein kleines Tierheim. Aber viele Institutionen bieten die Möglichkeit einer Patenschaft», so Samantha Fahrni.