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Wegen Corona und Tiktok: Die Jugend blickt wieder mehr in die Sterne

Horoskope und astrologische Themen im Allgemeinen sind plötzlich wieder populär – besonders bei der jüngeren Generation. Doch das kann auch Gefahren mit sich bringen. 

Egal ob den nächsten Verehrer, den perfekten Job oder den Tag, an dem sich alles ändern wird – junge Erwachsene sehen die Zukunft in den Sternen. Auch in den sozialen Medien fällt auf: Astrologie ist bei den Jungen weltweit wieder enorm populär. Der englische Suchbegriff #astrology zum Beispiel hat auf der Videoplattform Tiktok inzwischen 51,3 Milliarden Aufrufe.

Angefangen hat der Trend vor gut zwei Jahren, als alle zu Hause hockten und die sozialen Medien das Fenster zur Welt waren. Seither tummeln sich sogenannte Astrofluencer, also Influencer, die zeigen, wie die Sterne gerade stehen, auf den Foto- respektive Videoplattformen Instagram und Tiktok. Sie nennen sich zum Beispiel @zodiac.boyfriend, @witti.indi, @glossy_zodiac und @sternzeichenpost.

Die neuerliche Popularität der Astrologie steht allerdings in Widerspruch zur Entwicklung, dass Menschen zunehmend nach Einzigartigkeit streben. Gerade Heftli-Horoskope, die sich auf die Sternzeichen beschränken, stecken Menschen in gerade mal zwölf Schubladen.

Kinder- und Jugendpsychologe Philipp Ramming sagt: «Das Bedürfnis nach einem Erklärungsmodell, das die Komplexität der Welt reduziert, ist nichts Neues.» Vor allem in Krisenzeiten komme es wieder stärker auf. «Wirkt das Unbekannte, wie Anfang 2020 die Pandemie, bedrohlich, versuchen wir zu verstehen, was passiert, und suchen Schutz», sagt er.

Der Versuch, mit der Astrologie die Zukunft vorherzusagen, würde vor allem Jugendlichen ein Gefühl der Kontrolle geben. «Astrologie ist für sie eine Art Lebenshilfe in einer Zeit, in der das Leben kompliziert ist», sagt der ehemalige Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie.

Das sagt ein Astrologe

Für den Astrologen Markus Bachmann ist die wachsende Beliebtheit mehr als eine kurzfristige Modeerscheinung. Er hat eine andere Theorie: «Neue Generationen bringen immer neue Themen mit.» Bachmann sieht nicht Corona als Auslöser, sondern Astrologie an sich. Er sagt: «Wir sind seit ungefähr 2021 in einer sogenannten Luftepoche, welche eine längere Erdepoche, die etwa 200 Jahre dauerte, ablöst.»

Das bedeute, dass «vergeistigte Themen und Werte sowie Information und Vernetzung» an Bedeutung gewinnen würden, während eine vorwiegend materiell ausgerichtete Lebenshaltung an Bedeutung verliere.

Bachmann sagt: «Alte Wertesysteme zerfallen und die bisher bekannten Erklärungsmodelle greifen zu kurz.» Deshalb würden sich auch mehr und mehr Personen mit der Astrologie und spirituellen Ansätzen befassen.

Den zunehmenden Glauben an die Astrologie begründet Bachmann aber auch mit ihrer Inklusion: «Astrologie schliesst niemanden wegen seiner Herkunft oder sexuellen Orientierung aus.» Er zieht den Vergleich zum Glauben. In vielen Religionen gäbe es Gebote und Verbote, einzelne Minderheiten würden ausgeschlossen. «Astrologie hingegen ist wertungsfrei.»

Jugendpsychologe Ramming macht einen ähnlichen Vergleich: «In religiösen Gemeinschaften gibt es oft Verpflichtungen, sich in einer gewissen Art und Weise zu verhalten. Ansonsten wird man ausgeschlossen.» In der Astrologie sei das nicht so.

Astrologie entschuldigt keine Verhaltensweisen

Verwerflich findet Ramming den Glauben an die Astrologie nicht: «Wenn das Erklärungsmodell dabei hilft, sich selbst oder die Welt etwas besser zu verstehen, ist das doch fantastisch», sagt er. Ungesund werde es erst, wenn eine Abhängigkeit entsteht. Wenn jemand zum Beispiel nur noch nach den Prognosen seines Horoskops lebt. «Solange Astrologie eine Lebensempfehlung bleibt, ist das kein Problem.»

Und wenn jemand sein Verhalten mit seinem Horoskop und Sternzeichen entschuldigt? Der Astrologe Martin Bachmann findet das zum Spass kein Problem, doch als Entschuldigung könne das Horoskop nicht verwendet werden. «Das ist ein Missbrauch der Astrologie.»

Auch Ramming findet das nicht in Ordnung: «Das sind Personen, die an ihrem Selbstwertgefühl arbeiten müssen. Personen, die noch nicht sagen können: ‹Ich bin so›, und deshalb sagen: ‹Mein Sternzeichen ist so.›» Ist Astrologie die einzige Art, sich selbst zu verstehen, sei das kein gutes Zeichen.

Für Ramming ist jedoch vor allem wichtig, dass man am Selbstwertgefühl arbeitet. Er sagt: «Lest Horoskope, wenn sie euch helfen, aber glaubt vor allem an euch selbst. Das ist das Wichtigste.»