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Bank of England warnt: «Welt muss sich auf apokalyptische Preissteigerungen bei Lebensmitteln einstellen»

Weizen wird auf dem Weltmarkt zu einem immer knapperen Gut, ein Exportstopp Indiens treibt den Preis auf ein historisches Hoch. Dabei lagern Millionen Tonnen in der Ukraine.

Die ohnehin schon dramatische Welternährungslage spitzt sich weiter zu: Der Preis für Weizen, der seit dem Ukraine-Krieg drastisch gestiegen ist, wird durch die Hitzewelle im wichtigen Produktionsland Indien nochmals in die Höhe getrieben. Seit Indien am Wochenende einen Exportstopp für das Brotgetreide verkündet hat, ist der Preis um 6 Prozent und damit auf ein historisches Hoch gestiegen. Eine Tonne kostet 457 Schweizer Franken.

Zuvor hatte Indien in Aussicht gestellt, die globalen Versorgungsengpässe im Zuge des Ukraine-Kriegs durch eine Steigerung seiner Weizen-Exporte zu lindern. Daraus wird jetzt nichts. Der zweitgrösste Weizenproduzent nach China sieht sich gezwungen, primär die Versorgung im eigenen Land sicherzustellen. Bereits bestehende Lieferverträge würden nach Angaben der indischen Regierung immerhin erfüllt. Die Ausfuhr weiterer Mengen werde aber gestoppt.

Weizenlieferung aus Ukraine blockiert, aus Russland gestoppt

Die Mangellage verschärft sich somit weiter. Ein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist nicht absehbar. Die beiden Länder sind für fast ein Drittel der weltweiten Weizenlieferungen verantwortlich. Die Ukraine ist ausserdem ein wichtiger Exporteur von Mais, Gerste, Sonnenblumen- und Rapsöl. Aktuell sind die Ernten in der Ukraine aber blockiert – und Russland hat seine Getreide-Exporte vorerst gestoppt.

Marktbeobachter schlagen ob dieser Entwicklung Alarm – am Dienstagmorgen hat der Direktor der Bank of England, Andrew Bailey, gewarnt, dass sich «die Welt auf apokalyptische Preissteigerungen bei Lebensmitteln einstellen muss», wenn die Vorräte nicht aus der Ukraine verschifft werden könnten.

Die durch den Ukraine-Krieg angetriebene Inflation und die steigenden Kosten für Lebensmittel, Treibstoff und Transport verursachten einen Einkommensschock, der sich in den kommenden Monaten verstärken werde. «Es tut mir leid, dass ich apokalyptisch bin, aber das ist eine grosse Sorge. Nicht für Grossbritannien, sondern auch für Entwicklungsländer», so der britische Zentralbankchef Bailey weiter.

Russen klauen Getreide aus ukrainischen Vorräten

Am vergangenen Sonntag hat die russische Armee laut Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums über 500’000 Tonnen Getreide aus ukrainischen Vorratskammern in der Stadt Cherson im Süden des Landes gestohlen. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Der amerikanische Nachrichtensender CNN berichtete bereits Anfang Mai von Getreide-Diebstählen durch die Russen. Allerdings fällt es Russland laut dem «Schweizer Bauer» schwer, das erbeutete Getreide zu verkaufen. Viele Länder weigern sich offensichtlich, Lebensmittel anzunehmen, die dem rechtsmässigen Besitzer entnommen wurden. (chi)

UNO fordert sofortige Öffnung der blockierten Schiffshäfen

Die Sorge der Entwicklungsländer ist dabei freilich am grössten. Besonders abhängig von Importen aus der Ukraine und Russland sind Länder in Nord- und Ostafrika sowie im Nahen Osten. «Im Moment sind die Getreidesilos der Ukraine voll. Gleichzeitig stehen 44 Millionen Menschen am Rande einer Hungersnot», liess David Beasley, Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) Anfang Mai verlauten.

Das Welternährungsprogramm fordert deshalb eine sofortige Wiedereröffnung der Schwarzmeerhäfen. Nur so könnten die dringend benötigten Nahrungsmittel aus der Ukraine die Menschen erreichen, die in Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Südsudan, Syrien und Jemen von Hunger betroffen sind. «Uns läuft die Zeit davon, und die Auswirkungen der Untätigkeit werden noch jahrelang auf der ganzen Welt zu spüren sein», so Beasley weiter.

Derweil bemüht sich die EU-Kommission um eine andere Lösung: Die Rohstoffe sollen über den Landweg transportiert werden. Durch Solidaritätskorridore soll die Ukraine Getreide exportieren und benötigte Güter – von humanitärer Hilfe bis hin zu Futtermitteln und Düngemitteln – importieren können. Weil die ukrainischen Waggons aber nicht mit dem europäischen Schienennetz kompatibel sind, müssen die Waren umgeladen werden. Die Folge: Bis zu 30 Tagen Wartezeit an der Grenze.

Hungerzahlen waren schon vor Ukraine-Krieg auf Rekordniveau

Eine langfristige Lösung sei der Landweg ohnehin nicht, gibt WFP-Pressesprecher Martin Rentsch zu Bedenken. An den grossen Kapazitäten der Schiffshäfen wie jenem von Odessa führe kein Weg vorbei: «Die sieben geschlossenen Häfen sind ein riesiges Drehkreuz für den Getreidehandel. Pro Jahr werden dort 90 Millionen Tonnen verladen. Nun herrscht dort Stillstand.»

Vor allem für die nächste Ernte sei das ein grosses Problem. Für diese habe es in den Silos aktuell noch gar keinen Platz. «Der Nachschub an Getreide für den Weltmarkt muss irgendwo gelagert werden. Sonst nimmt die globale Ernährungskrise noch grössere Ausmasse an.» Schliesslich, fügt Rentsch hinzu, seien die Hungerzahlen schon vor dem Ukraine-Krieg auf Rekordniveau gewesen.

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