Wenn der grosse Zeh in Schieflage gerät
Der sogenannte «Hallux» – oder im medizinischen Fachjargon Hallux valgus genannt – ist eine der häufigsten Fehlstellungen im Bereich des Vorfusses, die rund ein Drittel der über 65-Jährigen und ein Viertel der 18- bis 65-Jährigen betrifft. Hierbei kommt es zum Hervortreten des ersten Mittelfussknochens und zu einer Abweichung der Grosszehe nach aussen in Richtung der anderen Zehen. Im Verlauf der Erkrankung (oder teilweise vorbestehend) kommt es häufig zu einer Verbreiterung des Vorfusses (sogenannte Spreizfuss-Deformität).
Frauen sind häufiger durch dieses Krankheitsbild betroffen als Männer. Es entwickelt sich hierbei allerdings erst durch das Auftreten von Druckstellen in den Schuhen, Schmerzen aus dem fehlgestellten Gelenk oder durch eine Überlastung und/oder Fehlstellung der benachbarten Kleinzehen ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild. Neben diesen oft als kosmetischer Mangel abgestempelten Problemen können auch Veränderungen im Gangbild und der Balance auftreten, welche zu Stürzen vor allem bei älteren Menschen führen können.
Ist eine solche Fehlstellung für die Patienten störend, erfolgt eine Abklärung des Ausmasses der Fehlstellung und der Begleiterscheinungen (Schmerzen im Vorfussballen, Fehlstellungen der Kleinzehen, Gelenkverschleiss, Spreizfuss) durch Röntgenbilder des Fusses im Stehen, also unter Belastung. Eine Erweiterung der Diagnostik mittels MRI oder CT ist nur selten notwendig.
Konservative Therapie nach drei Monaten beurteilen
In Abhängigkeit des Leidensdruckes kann zunächst eine nicht operative Behandlung (sogenannte konservative Therapie) durch den Grundversorger erfolgen. Hier steht die Linderung der Druckbelastung im Schuh und der Überlastungsbeschwerden des Vorfussballens und der Kleinzehen durch eine entsprechende Anpassung der Schuhe (ausreichend grosse Vorfussbox) und eine eventuelle Einlagenversorgung im Vordergrund. Die Kosten für Schuheinlagen sind jedoch teilweise erheblich und nicht in der Grundversicherung mit abgedeckt. Die Passform der verordneten Schuheinlagen und deren Qualität sollten durch eine Nachkontrolle sichergestellt und gegebenenfalls angepasst werden. Einmal angepasste Einlagen sollten dann konsequent getragen werden. Nachtlagerungsschienen oder Silikonplatzhalter zwischen den Zehen zeigten im Rahmen wissenschaftlicher Nachuntersuchungen zwar keinen nachweisbaren Vorteil, können aber individuell zur Verbesserung der Beschwerdesymptomatik führen. Physiotherapie ist, sofern keine weiteren Erkrankungen bestehen, eher nicht zielführend. Bei moderaten Fehlstellungen kann durch Fussgymnastik (Erlernen der aktiven Rückfuss-/Vorfussaufrichtung) teilweise ein günstiger Einfluss auf die Fehlstellung genommen werden. Es empfiehlt sich, den Erfolg der konservativen Behandlung nach drei Monaten zu beurteilen.
All diese Massnahmen zielen auf eine Reduktion des Leidensdruckes und eine Verlangsamung des Fortschreitens der Fehlstellung hinaus. Eine ursächliche Behandlung der Fehlstellung ist jedoch durch diese Bemühungen und ohne operative Therapie nicht möglich.
Möglich sind mehr als 100 Operationstechniken
Patienten mit drohenden oder bereits vorhandenen Zehenfehlstellungen wie Hammerzehen, Druckstellen, ausgeprägten Schmerzen, aber auch voroperierte Patienten sollten frühzeitig einer Spezialistin / einem Spezialisten (Fusschirurg/in) vorgestellt werden, um einen längeren und unnötigen Leidensweg zu vermeiden.
Für die operative Therapie des Hallux valgus sind mehr als 100 Operationstechniken beschrieben. Somit besteht eine Vielzahl an Möglichkeiten, wobei es keine beste Option gibt. Grundsätzlich kann zwischen gelenkerhaltenden Achskorrekturen und korrigierenden Gelenkversteifungen unterschieden werden, wobei teilweise auch eine Kombination davon notwendig ist. Leichtere Fehlstellungen können in der Regel durch gelenkerhaltende Achskorrekturen behandelt werden. Höhergradige Fehlstellungen, Gelenkinstabilitäten oder fortgeschrittene Gelenkverschleisserscheinungen bzw. Gelenkzerstörungen benötigen häufig eine korrigierende Gelenkversteifung. Teilweise sind zusätzliche Korrekturen von Kleinzehenfehlstellungen und Sehneneingriffe (bei Hammerzehen) sinnvoll und notwendig.
Nach einer operativen Versorgung muss in der Regel für sechs Wochen ein Spezialschuh getragen werden, in dem die Patienten, abhängig von der erfolgten Operation und sollten dies die Schmerzen zulassen, voll belasten und auftreten dürfen. Eine Röntgenkontrolle erfolgt typischerweise direkt nach der Operation und nach sechs (gelegentlich auch zwölf) Wochen. Nach gesicherter knöcherner und weichteiliger Heilung kann dann ausreichend weites Schuhwerk mit weichem Obermaterial getragen werden. Danach sind teilweise unterstützende Schuheinlagen, welche zum Beispiel mit einer Karbonsohle verstärkt werden, für weitere sechs Wochen erforderlich. Physiotherapie zur Beübung des Grosszehengrundgelenkes und der Nachbargelenke kann zusätzlich verordnet werden. Mit dem Erreichen einer guten Beweglich- und Belastbarkeit kann die Behandlung dann abgeschlossen werden.
Dr. med. Natalie Mengis
Co-Autoren:
Dr. med. Anselm Eglseder
Dr. med. Manuel Peterhans
Dr. med. Steffen Schmeichel