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Wer braucht diesen Krieg?

Zwei Antworten auf den Leserbrief «Putin wird weiter provoziert» von Robert Bär, Rothrist. Ausgabe vom 14. April.

Wer braucht diesen Krieg?

Wer ist für den Krieg in der Ukraine verantwortlich? Gemäss Leserbrief von Robert Bär ist «die aggressive Ausbreitung des militärischen Nato-Bündnisses für Putin und Russland eine schwere Provokation». Putin blieb also gar nichts anderes übrig, als militärisch zu intervenieren. So seine Logik.

Einer der Tricks der russischen Kriegspropaganda ist genau diese Verdrehung der Wahrheit bzw. das Spiel mit scheinbaren Fakten. Niemand zwang Putin zu diesem Krieg ausser er selbst und der Wahn, in den er sich gesteigert hat. In seiner Rede zur Nation bezeichnete Putin 2005 den Zerfall der Sowjetunion als die grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Sein Ziel ist es, dies zu korrigieren und das verlorene Imperium wiederherzustellen. Dazu scheut er keine Gewalt und versucht auch, den Westen möglichst zu schwächen. Innenpolitisch hat er systematisch sämtliche Opposition ­ausgeschaltet und dazu die «altbewährten KGB-Methoden» angewandt bis hin zu Vergiftungen und den Straflagern. Wer sich damit beschäftigen will, dem sei die Lektüre des Buches «Putins Schwarzbuch» empfohlen, herausgegeben von Galia Ackerman und Stéphane Courtois.

Erinnern wir uns zurück an den Fall der Berliner Mauer und in der Folge davon die Auflösung der Sowjetunion. Für die Menschen, die ausserhalb Russlands davon betroffen waren, war dies eine gewaltige Befreiung nach dunkeln Jahrzehnten hinter dem Eisernen Vorhang.

Natürlich war der Übergang in eine freiheitliche Gesellschaft im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaates nicht einfach. Zunächst führte es zu chaotischen Verhältnissen, dann aber in vielen der mitteleuropäischen Gesellschaften zu einer erfolgreichen Transformation. Wer die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Tschechien, Slowenien, Polen oder die Slowakei heute bereist, kann nur staunen im Vergleich zu vorher. Dieser Erfolg war auch möglich dank der Unterstützung der EU. Nicht überall ist die Transformation so gut gelungen (z. B. in Rumänien und Bulgarien – die Beseitigung der Korruption ist eine schier unlösbare Herkulesaufgabe).

Die Möglichkeit, Teil der westlichen Gesellschaft sein zu dürfen und sich als freie Nation entwickeln zu dürfen, ist auch der Traum der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, auch im russisch-sprachigen Teil. Dafür ist das Land bereit, zu kämpfen und unglaubliche Opfer zu tragen. Doch ohne Unterstützung des Westens ist dies nicht möglich.

Alle diese Länder litten unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges und wurden nach Kriegsende, ohne gefragt zu werden, dem Machtbereich von Stalin zugeordnet. Dass sie heute frei sein dürfen, ist auch eine ausgleichende Gerechtigkeit. Alle diese Länder wissen aber, dass Freiheit auch Schutz braucht, Verteidigung. Genau deshalb suchten sie den Weg in die Nato. Die Erfahrung mit Russland im Laufe der Geschichte und besonders mit der Sowjetunion hat sie misstrauisch gemacht. Und der Zustand des heutigen Russlands gibt ihnen mehr als nur Recht.

Zudem ist es eine Mär, zu glauben, dass die Nato Russland überfallen will. Dieser Schritt wäre in unserer westlichen Gesellschaft niemals tragfähig. Wer braucht diesen Krieg eigentlich? Letztlich nur die egomane Machtgier Putins und seiner Bande.

Max Hartmann, Zofingen

(Anm. d. Red.: Dieser Leserbrief ist mit rund 3200 Zeichen länger als üblich. Jedoch wird er von der Redaktion als wichtig für das Verständnis der aktuellen Situation in Russland angesehen, weshalb er in voller Länge ­abgedruckt wird.)

Die Handlungen eines Diktators rechtfertigen?
(Dieser Leserbrief wurde am Montag, 17. April im ZT publiziert)

Zuerst denkt man, es kann nicht wahr sein. Da versucht jemand, die verbrecherischen Handlungen eines Diktators zu rechtfertigen, der zum Mittel eines Angriffskrieges greift, weil er sich provoziert fühlt. Die Nato wird eines aggressiven Verhaltens bezichtigt, weil sich Länder in Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen die Anmassungen dieses Autokraten schützen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Krim wurde annektiert. Das widersprach dem Völkerrecht. Am 24. Februar 2022 wurde die Ukraine überfallen. Kiew sollte erobert, das Land besetzt werden. Nun geht es zurzeit um den Donbass und Luhansk, Teile der Ukraine. Was käme danach?

Nach Monaten der Krise und von Adolf Hitler provozierter Kriegsgefahr schlossen am 30. September 1938 Grossbritannien, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich das Münchner Abkommen, in dem die Abtretung des Sudetengebietes durch die Tschechoslowakei an Deutschland festgelegt wurde. Wie wir wissen, war ihm das nicht genug. Zuvor schon hatte er Österreich «heimgeholt» ins Reich. Am 1. September 1939 überfiel er Polen. Bei aller Verschiedenheit von Zeit und Raum sind Parallelen zum heutigen Konflikt offensichtlich.

Und nun kommt ein «Putin-Versteher» aus Rothrist und erklärt uns, man solle den Autokraten, der gerne andere als Nazis bezeichnet, nicht provozieren. Gut, wir hatten das auch schon. Die Nationale Front war in den 30er- und 40er-Jahren aktiv und wollte Deutschland nicht provozieren. Vielmehr hatten deren Vertreter die Schweiz bereits in Gaue eingeteilt. Gauführer waren bestimmt. Diese Haltung gipfelte in der Eingabe der Zweihundert an den Bundesrat am 15. November 1940. Sie wollten den ihnen nicht genehmen Schweizer Zeitungen einen Maulkorb verpassen. Noch ist es nicht so weit. Noch kann Herr Bär seine Meinung frei äussern. In Russland wäre ihm das nicht (mehr) möglich.

Bruno Hostettler, Zofingen