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Komm Regen, lach in mein Gesicht: Oder warum der Niederschlag unser wahrer Freund ist

Endlich: Regen über Europa, über der Schweiz. Nicht bloss zwei, drei Weiher wie in den letzten 60 Tagen, sondern ein gigantisches Meer schien sich da endlich auf das Mittelland zu stürzen.

Ob Kinder zuerst «Räge Räge Tröpfli» oder «O Du goldigs Süneli» singen? Ich tippe auf das Regenlied, insgeheim mag nämlich jedes Kind – und somit jeder Mensch – den Regen viel lieber. Er ist unter den Wetterphänomenen unser wahrer Freund. Regen hat etwas Tröstendes, ja naturgemäss etwas Segnendes. «Des Menschen Seele gleicht dem Wasser/ Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es» hat Goethe, inspiriert durch einen Aufenthalt in Lauterbrunnen, geschrieben. Unser ganzes Sein gleicht dem Wasser, auch wenn strenge Katholiken diese Verse ungern lesen.

Doch zurück zum Kinderlied: Aus dem einen Vers «Wenns rägnet wärded Blüemli nass» spricht so viel Dankbarkeit und Glück wie aus einem Mariengebet. Aus den fünf Kinderlied-Wörtchen lernen wir: Der Regen heilt die Natur, fördert und ermuntert sie, und lässt vor allem die Blumen wieder blühen. Und mit ihnen zusammen uns alle.

Später im Leben versinken todtraurige Teenager in Paul Verlaines Verse, verschicken sich Verse wie «Il pleure dans mon cœur/ Comme il pleut sur la ville » – «Es weint in meinem Herzen wie es auf die Stadt regnet.» Doch siehe da: Der sanfte Ton des Regens auf Erde und Dächern erscheint bei Verlaine für das leidende Herz auch als süsser Gesang. Wer will dem widersprechen?

Der Regen ist für uns Schweizer Alltag. 200 Liter pro Quadratmeter regnet es im Jahr – das ist ziemlich viel. Bei Meteo Schweiz scheinen Regenfetischisten zu arbeiten, an 260 automatischen und 200 manuellen Standorten wird der Regen jeweils gemessen. Ein Monat zählt durchaus mal 20 Regentage und so ist es auch verständlich, dass wir dem Kanton mit wenigen Regentagen, dem Tessin, den lieben Beinamen «Sonnenstube» gegeben haben: Ein Plätzli fern von unserer Welt. Umso ungewohnter und kräfteraubend waren die vergangenen Tage, Wochen, ja Monate: Der Regen fehlte uns an allen Ecken und Enden, denn von der Hitze und dem ewigen blauen Himmel haben wir nach drei Ferienwochen auch mal genug.

So war denn das Aufatmen am Mittwochabend bis nach Sizilien zu hören: Endlich erreichte der Verlain’sche Schalmeien-Ton die Schweiz von Westen her – passend zu den dramatisch heissen Tagen, gleich in mächtiger gross-sinfonischer Orchesterbesetzung. Oder wie sagte es Sandra Boner am Mittwochabend in der Sendung «Meteo» auf SRF 1 gleich zwei Mal nervös und zappelig wie immer: «Es gibt Gewitter mit allem Drum und Dran.»

Auch in San Sebastian gab es am Donnerstag Gewitter mit «allem Drum und Dran».
Javier Etxezarreta / EPA

Im Mittelland hatte manch einer die Augen schon zu, als endlich warmer Regen gegen die Fensterläden klopfte, bald hämmerte, ja stürzte: Nicht bloss zwei, drei Weiher wie in den letzten 60 Tagen, sondern ein gigantisches Meer schien sich da endlich auf das Mittelland zu stürzen. Ein Gefühlssparer, der da nicht aufsprang und zumindest aus dem Küchenfenster schaute, wenn nicht gar sich auf den Balkon stellte, dem Regenspektakel zuschaute und Petrus Worte des Dankes und des Lobes entgegenschickte. Manch eine wäre am liebsten im Pyjama rausgerannt, hätte im Regen getanzt und «Komm Regen, lache in mein Gesicht!» gerufen. Wie damals als Kind.

Ist’s nicht eine unserer allerschönsten Erinnerungen, wie wir bei Nachbarn im Garten vom Gewitter überrascht nach Hause rannten, auf dem Weg nass wurden und schliesslich zu Hause, als es nichts mehr zu retten gab, im Garten mit dem Regen tanzten? Dieses kindliche Hochgefühl überkommt auch Gene Kelly alias Don Lockwood im Filmmusical «Singing In The Rain», wo er sich mit einem Schlager von 1929 unsterblich machte.

Nach dem süssen Abschied von Kathy Selden lässt Lockwood trotz Starkregen frischverliebt das wartende Auto wegfahren, spaziert los, setzt zum Regentanz an und merkt: «Ich brauche keinen Schirm, soll mich der Regen doch nass machen, ich bin ein Sonntagskind: Das Nass wird mein Glück verdreifachen.» Selbst der Regenhut wird überflüssig und die Pfützen mitsamt der Stimmung Kellys immer grösser. Erst ist’s noch ein Pfützen-Foxtrott, alsbald ein ausgelassenes Pfützenstampfen, wie wir es seit Kindertagen lieben, aber nicht mehr gewagt haben zu tun; Kelly stampft so selbstvergessen, dass die Sonne in Gestalt der Polizei auftaucht.

Am Mittwochabend hüpften die Menschen im Regen. Twitter und Instagram schienen überzulaufen. Jene, die noch zu kurz kamen, freuen sich auf Freitag, jene, die zu viel abbekamen, wird die nächste Sonnenwoche und die Versicherung wieder Frieden bringen. Sie singen gemeinsam: «Oh, Du goldigs Sünneli».