Organspende: Bundesrat wirbt für Widerspruchslösung
Wer zu Lebzeiten nicht explizit Widerspruch eingelegt hat, soll von den Spitälern fortan als Organspender betrachtet werden. In diesem Punkt deckt sich die von Bundesrat und Parlament vorgeschlagene Änderung des Transplantationsgesetzes mit der radikaleren Organspende-Initiative. Der Gegenvorschlag geht aber weniger weit, da er Angehörigen die Möglichkeit einräumt, den Widerspruch der verstorbenen Person posthum geltend zu machen. Am 15. Mai stimmt das Volk voraussichtlich über die Vorlage ab – am Dienstag lancierte Bundesrat Alain Berset den Abstimmungskampf.
Ziel der Vorlage sei es, die Verfügbarkeit von Spenderorganen zu erhöhen, sagte Berset vor den Medien in Bern. Derzeit gibt es eine lange Warteliste: Ende 2021 warteten 1434 Menschen auf eine rettende Transplantation. Im Schnitt stehen jährlich aber nur Organe für 450 Transplantationen zur Verfügung. Die Wartezeit beträgt mehrere Monate, manchmal sogar Jahre. Die Ablehnungsrate sei in der Schweiz rund doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt, sagte die Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Anne Lévi.
«Jedes Wort im privaten Umfeld gilt»
Künftig könnten die Angehörigen die Organentnahme nur noch ablehnen, wenn sie wissen oder vermuten, dass die verstorbene Person die Entnahme selbst abgelehnt hatte. «Jedes Wort, das man in seinem privaten Umfeld zur Organspende sagt, gilt dann», sagte Berset. Um Unklarheiten zu verhindern, will der Bund ausserdem alle Organspendeverweigerer in einem nationalen Register erfassen. Auch zustimmende Willensbekundungen sollen dort abgelegt werden können. Das Register werde einfach zu bedienen und sicher sein, versprach Berset am Dienstag.
Dass es in der Schweiz Personen geben könnte, die nichts von der Widerspruchslösung wissen und denen mangels Widerspruchserklärung wider Willen Organe entnommen würden, hält er nicht für wahrscheinlich. Umfragen zeigten, dass in der Schweiz alle eine Meinung zur Organspende hätten, sagte Berset. Auch die Volksabstimmung werde die Bevölkerung sensibilisieren. Ausserdem solle es eine Informationskampagne geben.
Initiativkomitee wollte eigentlich noch weiter gehen
Für die Gegner des Gegenvorschlags stellt die Widerspruchslösung eine inakzeptable Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung dar. Ein Komitee mit Vertretern aus Politik, Ethik und Theologie hat deshalb das Referendum ergriffen.
Die Initianten des ursprünglichen Volksbegehrens haben die Initiative zugunsten des Gegenvorschlags bedingt zurückgezogen. Wird dieser vom Volk angenommen, ist die Initiative vom Tisch. Wird er jedoch abgelehnt, kommt sie an die Urne. Im Unterschied zur Vorlage von Bundesrat und Parlament fasst sie die Widerspruchslösung eng: Ist die Ablehnung der verstorbenen Person nicht dokumentiert, wird die Zustimmung zur Organentnahme auch ohne Anhörung der Angehörigen vorausgesetzt.