Wieso das Corona-Virus dem Sport enorm geholfen hat
Es ist ein Paradox. Die Winteruniversiade in Luzern fällt Covid-19 zum Opfer. Doch ausgerechnet einem wichtigen Vermächtnis dieser Weltspiele für Studierende hat das Corona-Virus einen enormen Schub verliehen. Die duale Karriere – konkret die Verbindung von Spitzensport mit einer akademischen Laufbahn – profitiert von der Entwicklung rund um die Pandemie.
Der Sport weibelt seit Jahren, um die Verträglichkeit eines Studiums während der Karriere zu verbessern. Das Zauberwort heisst Flexibilität. Weil Athletinnen und Athleten viel trainieren und noch mehr reisen, wären digitale und zeitlich verschobene Teilnahmen an Vorlesungen, wären Teilzeitstudien und wären individuelles Ablegen von Prüfungen eine Riesenhilfe. Gerade im Bereich von Fernunterricht und Examen hat Covid-19 bei Schweizer Universitäten und Fachhochschulen massgeblich zu einer rigorosen technischen Innovation, aber auch zu einem Umdenken in den Köpfen der Verantwortlichen beigetragen.
Ein Netzwerk für studierende Sportlerinnen und Sportler
Letzteres gehört auch zum Fokus der Universiade-Legacy. Geplant war, die Rektorinnen und Rektoren aller Hochschulen an einen Wettkampf einzuladen, um deren Commitment für den Spitzensport zu festigen. Dieses wurde in den vergangenen Jahren bereits durch zwei gemeinsame Absichtserklärungen zwischen Sport und Hochschulen schriftlich untermauert und durch konkrete Projekte auch umgesetzt.
So hat Swiss Olympic das Programm Spitzensport und Studium geschaffen, das von Ruder-Olympiasieger Simon Niepmann geleitet wird. Und an den Schweizer Hochschulen gibt es je eine spezifische Koordinationsstelle für Fragen und Anliegen des Spitzensports.
Zudem wurde gemeinsam von Swiss Olympic und einem Startup ein Netzwerk von Mentoren lanciert. Athletinnen und Athleten, welche selbst den dualen Weg gewählt haben, stehen für den Austausch mit Talenten, welche vor dieser Entscheidung stehen, zur Verfügung. Unter ihnen prominente Namen wie Snowboard-Olympiasieger Nevin Galmarini oder Stabhochsprung-Europameisterin Angelica Moser. Und aktuell läuft ein Pilotprojekt, um auch in den Sportverbänden eine Ansprechperson für eine frühzeitige Karriereplanung zu installieren.
Es braucht Flexibilität von allen Beteiligten
Denn die Praxis zeigt, dass trotz aller Fortschritte nach wie vor Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Oder um es in den Worten von Mike Kurt, dem Präsidenten von Swiss University Sports und einem der Treiber des Universiade-Vermächtnisses, auszudrücken: «Das zarte Pflänzchen muss in Zukunft weiter gepflegt werden.»
Zwar bestand das Schweizer Olympiateam in Tokio aus einem stattlichen Drittel Studierender. Das Beispiel der Schützin Nina Christen, die ihr Biologiestudium zugunsten der Profikarriere abbrach, zeigt aber auch die nicht kleiner werdende Herausforderung der Vereinbarkeit von Sport und Karriere. Denn die Entwicklung geht selbst in sogenannten Randsportarten immer mehr in Richtung Professionalisierung.
Um in diesem Spannungsfeld Lösungen zu finden, müssen sich alle Beteiligten bewegen und Flexibilität an den Tag legen. Die Kunst für Athletinnen und Athleten ist es, das für ihre Situation geeignete Angebot zu finden. Die Möglichkeit, die Schweizer Fernuniversität oder Fernfachhochschule zu absolvieren, hat für viele eine Türe zum akademischen Weg geöffnet. Slalom-Ass Ramon Zenhäusern hat sie ebenso genutzt wie mehrere Eishockeyspieler wie etwa Nati-Goalie Leonardo Genoni, was unterstreicht, dass die Nachfrage nach einem Studium unabhängig von den Verdienstmöglichkeiten im Sport besteht.
Studium verschweigen, um keine Nachteile zu haben
Verschiedene Beispiele zeigen aber auch, dass sowohl Akteure an Hochschulen wie in Sportorganisationen ihre Ansichten anpassen müssen. Die frühere Eishockey-Nationalspielerin Isabel Waidacher, die parallel zu ihrer Zeit bei den ZSC Lions das anspruchsvolle Architekturstudium an der ETH bestritt, sagte gegenüber Radio SRF zu ihren Erfahrungen: «Neben den sportfreundlichen Dozenten gab es auch jene Professoren, die überhaupt kein Verständnis für Sport hatten. Bei denen musste ich schon etwas unten durch.»
Umgekehrt gibt es auch Trainer und Sportfunktionäre, welche ein Studium ihrer Athletinnen und Athleten nicht gerne sehen. Das ging in der Vergangenheit in Einzelfällen so weit, dass Studierende ihre Ausbildung gegenüber dem Verband sogar verschwiegen, um bei den Selektionen keine Nachteile zu erfahren.
Mike Kurt will solche Zeiten definitiv hinter sich lassen. Er erhofft sich, dass die durch Corona gewonnene Technologie und Flexibilität an Hochschulen nachhaltig bleibt und dass der Wert von Spitzensportlerinnen und -sportlern für die Gesellschaft erkannt und gefördert wird. Die Sportstars von heute hätten das Potenzial, die Wirtschaftsführer von morgen zu werden – insbesondere die Studierenden könnten dabei eine herausragende Rolle spielen. Deshalb sagt Kurt auch klipp und klar: «Lösungen an Hochschulen für Spitzensportler zu finden bedeutet für diese kein Privileg, sondern eine Gleichstellung».