Sie sind hier: Home > Wintersport > Über 300 Skigebiete mussten in der Schweiz schliessen – doch auf diesem Berg öffnet eines neu

Über 300 Skigebiete mussten in der Schweiz schliessen – doch auf diesem Berg öffnet eines neu

Schnee wird auch in höheren Regionen zur Mangelware. Dennoch baut gerade eine Immobilienfirma ein kleines Schweizer Bergdorf für 300 Millionen zum Skiresort um. Kommt das gut?

Für die meisten ist es nur ein Durchgangsort: San Bernardino, die Gemeinde, die man links liegen lässt, wenn man durch den gleichnamigen Tunnel ins Tessin braust. Und das eigentlich auch nur, wenn man den Stau am Gotthard umfahren will: San Bernardino ist der Durchgangsort der Alternativroute.

Nicht für Flavio Petraglio. Für ihn ist San Bernardino die Perle der Alpen, aus der er ein Ferienparadies für Familien machen will. «Schauen Sie sich um, ist die Landschaft nicht einfach unglaublich?», fragt der Chef der Immobilienfirma Artisa Group. Das Wetter könnte an diesem Samstag im Februar nicht besser sein für Petraglios Werbespot. Keine Wolke am Himmel, freier Blick aufs Bergpanorama und Sonnenstrahlen, die tief ins Bündner Dorf im Misox-Tal dringen.

Auf der Terrasse des Restaurants Chesa Veglia sitzen die Menschen mit offenen Jacken und trinken Kaffee oder ein Glas Wein. Selber schuld, wer heute in San Bernardino nicht Halt macht und über die Schnellstrasse weiter in den Süden brettert.

Ein 300 Millionen schwerer Prinz küsste San Bernardino wach

San Bernardino, ein Ferienparadies? Der «Blick» bezeichnete den Ort einst als «trostlosestes Skigebiet der Schweiz». Verlottert und heruntergewirtschaftet stellten die Bergbahnen 2012 den Betrieb ein. Ohne Skipisten keine Touristen. Ohne Touristen kein Geld. Hotels und Restaurants schlossen ihre Türen. Und immer weniger Autos blinken nach dem San-Bernardino-Tunnel links. Das Dorf fiel in eine Art Dornröschenschlaf. Der Eiswind schliff den Verputz an den Fassaden der Gebäude ab.

Noch wird gebaut in San Ber.
Bild: Samuel Golay/Keystone/TI-PRESS

Der Prinz, der San Bernardino wach geküsst hat, heisst Stefano Artioli. Der Tessiner ist der Gründer der Immobilienfirma Artisa Group und laut dem Magazin «Bilanz» einer der 300 reichsten Schweizer. Er hat die desolaten Bergbahnen gekauft und wieder instand gesetzt, sieben Gebäude im Dorf erworben und renoviert. 80 Millionen Franken hat das alles gekostet.

Seit letzter Wintersaison kann man mit der Gondelbahn wieder auf den Confin hochfahren, über präparierte Pisten carven und sich am Mittag im Capanna mit einer Bratwurst mit Zwiebelsauce stärken. Und seit Sommer 2024 hat auch das 3-Sterne-Hotel Brocca & Posto im Zentrum des Dorfes wieder geöffnet samt dem italienischen Restaurant.

«Das alles ist noch Phase 0 unseres Projektes», erklärt Flavio Petraglio. Bereits sind Investitionen von mindestens 200 Millionen Franken geplant. Nächstes Jahr sollen zwei weitere Hotels öffnen. Darunter das Albarella – ein Designhotel aus den 70er-Jahren, das von der Blütezeit des Tourismus in San Bernardino zeugt. Bis im Jahr 2030, so der Plan, soll dann auch ein Wellnesstempel für Gäste mit luxuriösen Ansprüchen stehen.

Mit lieben Grüssen von Samih Sawiris

Wer jetzt an Andermatt denkt, wo der Investor Samih Sawiris das Tourismusgebiet neu belebt hat, liegt nicht falsch. «Wir tauschen uns regelmässig mit Sawiris aus», sagt Petraglio. Im Unterschied zu Andermatt werde in San Bernardino aber nicht ein Tourismusresort neben einem Dorf gebaut, sondern ein Dorf ausgebaut. Ein Dorf, das nur 100 Einwohner zählt und dereinst 8000 Touristen beherbergen soll. Zu viel für die Bevölkerung? «Die meisten finden gut, dass nun etwas kommt», sagt Petraglio. Und fügt an: «Klar, manchen geht es auch etwas schnell.» Doch man vernimmt im Dorf erstaunlich wenig Widerstand gegen das Projekt.

Bis man baulich am Ziel ist, gibt es aber noch viel zu tun. Auch bei der Wintersportinfrastruktur. Die 6er-Gondel bringt einen noch zügig auf den Berg. Doch sobald man auf den 2er-Sessellift umsteigt, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Die Sessel werden in der Station nicht abgekoppelt, sondern sind fest mit dem Förderseil verbunden, verlangsamen ihre Geschwindigkeit beim Einstieg also nicht. Den Skifahrerinnen und Snowboardern wird unweigerlich die Kante der Sitzbank in die Kniekehle gerammt. Eine unsanfte Art, jemanden zu bitten, Platz zu nehmen. Kommt einem das Tempo in der Station noch brachial vor, so fühlt man sich bald in einer Entschleunigungstherapie, wie man da am Seil baumelnd den Berg hochbummelt.

Die ruppige Art, den Berg hochzufahren: der alte Sessellift Pan de Zucher.
Bild: Samuel Golay/Keystone/TI-PRESS

Sogar vom Skilift daneben wird man überholt. Der Tre Omen ist ein heisser Anwärter auf den längsten und steilsten der Schweiz, wurden doch in den letzten zwei Jahrzehnten in den grösseren Gebieten praktisch alle vergleichbaren Schlepplifte durch moderne 6er- oder 8er-Sessel mit Windschutz und Sitzheizung ersetzt. Als Snowboarder wird die Reise mit dem Tre Omen bald zu einer schmerzvollen Angelegenheit im Oberschenkel.

Oben werden geübte Fahrer aber mit einer steilen und breiten Piste entschädigt, die grosse Schwünge zulässt – und versöhnlich zu Langschläfern ist. Denn selbst morgens um 11 Uhr findet man perfekt präparierte Streifen, auf denen noch die Rillen des Rechens des Pistenbullys sichtbar sind – auf dem Parsenn in Davos ist um 9 Uhr schon alles komplett durchpflügt. Überhaupt bietet das kleine Skigebiet auf seinen nur 35 Pistenkilometern einiges an Abwechslung für Anfänger und Fortgeschrittene. Und die Tageskarte gibt es schon ab 44 Franken.

Die Nullgradgrenze wird weiter steigen – auch in San Bernardino

Doch die Konkurrenz ist gross und das Wintersportgeschäft hart. 545 Skigebiete gab es einmal in der Schweiz,haben Forscher nachgezählt. Heute sind es noch 231. 40 Prozent mussten schliessen.


Und in den nächsten Jahren dürften weitere folgen. Denn Schnee wird zur Mangelware. Bis 2050 soll die Nullgradgrenze um weitere 300 Meter steigen. Das dürfte viele Skigebiete vor ernsthafte Probleme stellen,konstatierte Anfang Saison der Verband der Schweizerischen Seilbahnen.

Ist es da nicht Wahnsinn, ein Skigebiet neu zu eröffnen? «Nein, wir positionieren uns mit einem kleinen, aber feinen Tourismusgebiet», sagt Petraglio. Ausserdem hätten Studien ergeben, dass die Pisten von San Bernardino, die zwischen 1600 und 2700 Meter liegen, noch lange befahrbar seien – gefährdet seien vor allem Gebiete unter 1500 Meter.

Fast schon ein Alleinstellungsmerkmal ist die Italianità, die im Wintersport-Dorf herrscht. Die Einheimischen sprechen kaum Deutsch, die Kellner auch nicht. Und obwohl Flavio Petraglio gerne zwei Drittel der Gäste aus dem deutschsprachigen Raum gewinnen möchte, so hat man das Gefühl, dass derzeit die überwiegende Mehrheit der Touristen aus dem Tessin und Norditalien kommt.

In der «Brocco & Posta»-Bar gibt’s feine Pizza.

Und selbstverständlich kann man im Restaurant des Hotels Brocco e Posta auch eine richtige Pizza essen – eine mit einem dünnen Boden und einem luftigen, aber dennoch knusprigen Rand. Was will man nach einem Tag im Schnee mehr? Vielleicht einen Whirlpool und etwas Après-Ski mit erträglicher Musik. Und eine Schlittelpiste, die länger als 200 Meter ist. Und als Eltern einen Kids Club, in dem auch unter Sechsjährige betreut werden. Kann alles noch kommen. Bald folgt Phase 1 in San Bernardino.

Übernachten:nIm neu eröffneten Hotel Brocco & Posta gibt es das Doppelzimmer ab 200 Franken. Naturholz dominiert die Innenarchitektur der Zimmer und der Hotellobby. Apartments und Ferienwohnungen vermieten die Residenza Tilia und die Residenza Larix im Dorfzentrum.

Essen:nDas Restaurant im Brocco & Posta bietet eine feine Auswahl aus traditionell italienischen und schweizerischen Speisen. Im Bistro Central gibt es Burger und in der Suisse Wine Bar kann man nicht nur ein auserlesenes Glas geniessen, sondern auch gleich für den Eigenbedarf einkaufen.

Skifahren:nErwachsene zahlen für die Tageskarte des Confin-Gebiets 49 Franken. Bei frühen Onlinebuchungen wird ein Rabatt von 5 Franken gewährt. Für Anfänger eignet sich auch der Schlepplift im Dorfzentrum. (ras)