Wir müssen den Politikern gut auf die Finger schauen, was sie mit unseren Pensionskassen-Geldern machen
Mit grossem Interesse verfolge ich die Debatte über die Reform des Beruflichen Vorsorgegesetz (BVG). Als Rentner müsste mich das nicht mehr gross interessieren, denn an meiner Rente wird sich bis zu meinem Ableben nichts mehr ändern. Da ich jedoch 1985 bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bei meinem damaligen Arbeitgeber eine Lösung mitgestalten durfte, später Arbeitgeber und Arbeitnehmer war, und schliesslich als Geschäftsführer eines Treuhandbüros viele Unternehmen beraten habe, welche dieses Gesetz anzuwenden hatten, können Sie mein gebliebenes Interesse verstehen.
Die ersten 20 Jahre nach der Einführung hat sich die Allgemeinheit wenig um das BVG gekümmert, obwohl es um sehr viel Geld geht. Mittlerweile sind gesamthaft in den Kassen aller Versicherer 1100 Milliarden Franken Spargelder deponiert, welche allen Schweizerinnen und Schweizern gehören, welche aktuell BVG-versichert sind. Dass sich anfänglich niemand um diese Gelder kümmerte, lag wohl daran, dass dieses Geschäft fast ausschliesslich bei den Versicherungsgesellschaften sowie Kassen bei Grossfirmen angesiedelt war. Alle waren zufrieden: Die Versicherten erhielten praktisch immer eine Verzinsung von 4 Prozent ihrer Spargelder, was darüber hinaus erwirtschaftet wurde, floss bei den Versicherungen in die Erfolgsrechnung und damit an die Aktionäre.
Ende der 90er Jahre kamen die goldenen Zeiten des Finanzbooms und es wurden teilweise fantastische Renditen erwirtschaftet. Da die Versicherungen diese Erfolge nicht an die Versicherten weitergaben, entstanden viele unabhängige Vorsorgeeinrichtungen, welche das ändern wollten. Da eine bessere Verzinsung der Spargelder zu einem besseren Umwandlungssatz führt und damit zu besseren Renten oder mehr Kapitalleistung, entstand eine Euphorie. 2004 führte ich mit einer namhaften unabhängigen Kasse einen Informationsanlass durch. Der Leiter der Kasse sagte zu mir, ein Umwandlungssatz von 7,2 Prozent (wie er damals gültig war) sei eigentlich viel zu wenig, er würde mir sofort 7,8 Prozent zugestehen!
Dann kam die Finanzkrise, die Aktienkurse sackten ab, was kurzfristig zu grossen Verlusten führte. Eine weitere Folge der Krise war die einsetzende Tiefzinspolitik zur Freude der Schuldner und zum Leid derjenigen, die Geld anzulegen hatten. Da gab es tatsächlich einzelne Jahre, in denen die Pensionskassen negative Renditen erzielten. Aber bald hatten sich die Anlageverantwortlichen auf die neue Situation eingestellt, statt Obligationen wurden mehr Aktien und vor allem Immobilien gekauft. So pendelten sich die Renditen je nach Anlagepolitik so bei etwa 5 Prozent ein. Und was passierte mit der obligatorischen Verzinsung der Sparkapitalien? Diese wurden sofort bei der Krise massiv gesenkt und seither auch wieder nicht mehr angehoben. Der Bundesrat ist dafür zuständig, seine Berater ist die Versicherungsbranche!
Die mantraartige Leier
vom Älterwerden
Und jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Weniger Zins bedeutet weniger Alterskapital. Und weniger Zins, welcher auch als technischer Wert in die Berechnung des Umwandlungssatzes fliesst, senkt diesen unweigerlich massiv. Und um genau diesen geht es beim Streit um die BVG-Renten. Ich war schockiert, als Ende Jahr in der «Tagesschau» eine renommierte Nationalrätin zugab, dass sie nicht wisse, was ein Umwandlungssatz sei. Sie hat ja darüber abzustimmen, also folgt sie der mantraartigen Leier, dass wir halt immer älter werden (wie lange noch?) und dass keine Renditen mehr zu erzielen seien (für immer und ewig). Und so soll der gesetzliche Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Dabei muss man wissen, dass aktuell kein Rentenantrag noch einen Umwandlungssatz von 6 Prozent offeriert, sondern weniger. Wenn mir jemand eine in den letzten Jahren erfolgte Rente mit einem Satz von mehr als 6 Prozent melden kann, bezahle ich ihm eine teure Flasche Wein. Dabei reden wir von einer Senkung von 6,8 auf 6 Prozent!
Wieso ist das? Der Umwandlungssatz gilt nur für obligatorische Leistungen des BVG, für überobligatorische Leistungen (z.B. Kapitaleinkäufe) sind die Versicherer absolut frei im Angebot. Das haben diese schon länger gemerkt und teilen deshalb die Sparguthaben auf in obligatorische und überobligatorische Sparguthaben. Wenn Sie nun bei der Pensionierung den gesetzlichen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent verlangen, wird Ihnen die Pensionskasse sagen: «Okay für das Obligatorium, aber für das Überobligatorium können wir Ihnen nur 4,5 Prozent offerieren. Sind Sie einverstanden, dass wir uns auf das Ganze auf 5,8 Prozent einigen?» Sie schlucken dreimal leer und wundern sich, dass doch die Kasse auf Ihrem Ausweis tatsächlich fast gleichviel Überobligatorium ausweist wie das gesetzliche Guthaben.
Das habe ich mich bei meiner Pensionierung vor sieben Jahren auch gefragt, obwohl meine ordentlichen Beiträge doch sehr viel grösser waren als meine freiwilligen Beiträge. Das scheint mir ein grosses Problem. Wenn ich Gesetzgeber wäre, würde ich den Kassen vorschreiben, dass sie jedes Jahr beim Verteilen des Versicherungsausweises den Versicherten mitteilen müssen, welche Buchungen betreffend Guthaben ins Überobligatorische geflossen sind. Sonst wird das Gesetz von hinten ausgehebelt.
Stimmt das mit der
Umverteilung?
Es ist mir klar, dass am Schluss nicht mehr verteilt werden kann als vorher einbezahlt worden ist, das muss jeder Rentner wissen. Aber ich finde es unfair, wenn die Versicherer mit ihrem grossen Wissensvorteil und dem politischen Gewicht alles so organisieren können, dass es vor allem für sie stimmt. Der (zu hohe) Umwandlungssatz hat noch eine andere Komponente, welche politisch ebenso wichtig ist. Es finde eine massive Umverteilung der Guthaben von jung zu alt statt. Ich bin nicht Mathematiker, aber ich möchte mal eine unabhängige Berechnung sehen, welche eine vernünftige Prognose der Lebenserwartung beinhaltet, sowie statt mit einer mickrigen Verzinsung von 1 Prozent mit 2 oder 3 Prozent rechnet. Meine Mathematikkenntnisse reichen, dass dies ein gewaltiger Unterschied ist. Sollten künftig wieder grössere Renditen erzielt werden, haben die jetzigen in Pension gehenden Rentner absolut nichts mehr davon. Und die Rente bleibt ein Leben lang dieselbe, auch wenn wir wieder Inflation haben und die Löhne und die AHV steigen. Wer wird dann von Umverteilung sprechen?
Für die Politiker ist somit gegeben, dass der Umwandlungssatz von 6 Prozent richtig ist. Die Linke und die Rechte streiten sich lediglich darum, wer denn nun mehr einzahlen soll, damit trotzdem eine anständige Rente bleibt. Zum Glück dauert die Debatte noch ein Weilchen, sodass noch Zeit besteht, um Korrekturen anzubringen. Und am Schluss werden Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, über das Gesetz an der Urne befinden.