Zu wenig Geld für die Miete: Gemeinden missachten Sozialhilfe-Pflichten – Regierung sieht Handlungsbedarf
Sozialhilfe-Beziehende erhalten von ihren Wohngemeinden einen Betrag, um die Miete zu zahlen. Im Kanton Aargau grassiert bei diesen Geldern ein Flickenteppich mit enormen Unterschieden, die sich nicht allein mit Auswüchsen des Wohnungsmarktes erklären lassen. Einzelne Steuerparadiese fallen mit Tiefstbeiträgen auf, die sie seit Jahren nicht mehr angepasst haben. Das zeigteeine Recherche dieser Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Verein Öffentlichkeitsgesetz.chauf.
Dabei ergab sich für den Aargau zum Beispiel folgende Erkenntnis: Die Mietzinsrichtlinien für einen Vierpersonenhaushalt liegen im Schnitt 152 Franken unter der durchschnittlichen Marktmiete für eine 3- bis 3½-Zimmer-Wohnung. Und nur gerade in 19 Gemeinden reicht der Betrag gemäss Richtlinie, um die durchschnittliche Marktmiete zu decken.
Sozialhilfe-Beziehende sind in den letzten Jahren zusätzlich unter Druck geraten, weil ihre Mieten gestiegen sind und die Gemeindebeiträge nicht mehr oder noch weniger reichen, um die Miete zu zahlen. Betroffene müssen also die Miete auch mit Beiträgen decken, die eigentlich für den Lebensunterhalt vorgesehen sind. Oder sie müssen notgedrungen umziehen – was angesichts der Knappheit von günstigen Wohnungen nicht einfach ist.
Grossrätin fordert ein gerechteres System
Grossrätin Therese Dietiker (EVP) sind die enormen Unterschiede ein Dorn im Auge. In einem Vorstossschlug sie dem Regierungsrat eine neue, kantonale Regelung für die Mietzins-Richtlinien vor. Acht weitere Grossrätinnen und Grossräte von Mitte, GLP, Grünen und SP unterschrieben das Postulat. Darin fordern sie die Regierung auf, einen Vorschlag für ein gerechteres System auszuarbeiten. Die enormen Unterschiede sollen ein Ende haben – und damit auch der Konkurrenzkampf unter den Gemeinden um möglichst wenige Sozialhilfe-Beziehende und -Kosten.
Handlungsbedarf sieht auch der Regierungsrat. Das schreibt er in seiner Antwort auf das Postulat. Er müsse davon ausgehen, dass «nicht alle Gemeinden im Kanton Aargau ihre Pflichten in Bezug auf die Mietzinsrichtlinien rechtlich korrekt wahrnehmen». Anders ausgedrückt: Gewisse Gemeinden missachten das Gesetz.
Der Regierungsrat ist bereit, das System der Mietzinsrichtlinien zu überprüfen, um eine gesetzliche Änderung vorzuschlagen. Für diesen nächsten Schritt ist ein Ja des Grossen Rats nötig. Die Abstimmung dürfte in den nächsten Wochen anstehen.
Gemeinden haben eigene Richtlinien
Im Aargau müssen die Gemeinden Mietzinsrichtlinien festlegen. Sie halten darin fest, bis zu welchem Betrag sie die Mietkosten per Sozialhilfebeitrag übernehmen. Berücksichtigt werden die Haushaltsgrösse und das Mietzinsniveau des lokalen Wohnungsmarktes. Damit sollen die Betroffenen im ganzen Kanton von den Gemeinden gleich behandelt werden respektive gleich behandelt werden können. Die Sozialhilfebehörden haben im Einzelfall, wenn die Miete über der Richtlinie liegt, zu prüfen, ob diese angemessen ist.
«Die Mietzinsrichtlinien dürfen nicht dazu dienen, den Zu- oder Wegzug von wirtschaftlich schwachen Personen zu steuern», hält der Regierungsrat fest. «Entsprechend sind die Mietzinsrichtlinien auf eine fachlich begründete und nachvollziehbare Berechnungsmethode abzustellen.» Genau dies ist ein Kritikpunkt am aktuellen System.
Weshalb passen Gemeinden die Richtlinien teilweise seit Jahren nicht an? Der Regierungsrat sieht eine mögliche Ursache darin, dass die Gemeinden – anders als jene anderer Kantone – die Quote der Mieten in der Sozialhilfe, welche über den Mietzinsrichtlinien liegen, nicht aus ihrem System entnehmen können, in dem sie die Daten ihrer Fälle führen. Eine erhöhte Quote könnte auf einen allfälligen Anpassungsbedarf bei den Mietzinsrichtlinien hindeuten.
Dietiker hat im Postulat regionale Mietzinsrichtlinien vorgeschlagen, so wie sie beispielsweise der Kanton Waadt mit zehn Regionen kennt. Eine solche Regelung mit regionalen Mietzinsrichtlinien, bei einheitlicher Berechnungsmethode, könnte auch im Aargau umgesetzt werden, schreibt der Regierungsrat.