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Fehlender Wohnraum für Senioren: Der Aargau kennt keine Wohnbauförderung – und das soll auch so bleiben

Oft bleiben ältere Menschen in ihrem Haus oder der grossen Wohnung wohnen, auch wenn die Kinder ausgezogen sind. Ein Grund dafür sind mangelnde Alternativen. Die Aargauer Regierung sieht sich jedoch nicht in der Pflicht, Massnahmen zu ergreifen. 

Menschen sollen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen. Dieses Ziel ist in der Gesundheitspolitik weitgehend unbestritten. In verschiedenen Studien wird jedoch ein Missverhältnis zwischen den Bedürfnissen der älteren Menschen und dem Wohnraumangebot festgestellt.

Darauf weisen die Aargauer Grossratsmitglieder Matthias Betsche (GLP), Hans-Peter Budmiger (GLP), Ruth Müri (Grüne), Andre Rotzetter (Mitte) und Lea Schmidmeister (SP) in einer kürzlich eingereichten Interpellation hin. Sie befragten den Aargauer Regierungsrat zum Thema «bedürfnisgerechter Wohnraum für eine alternde Bevölkerung». Nun liegt dessen Antwort vor. Sie überrascht kaum: Was Eingriffe in den Wohnungsmarkt betrifft, gibt sich die Regierung zurückhaltend.

Unter anderem wollten die Grossrätinnen und Grossräte wissen, welche kantonalen Massnahmen und Instrumente zur Verfügung stehen, um die Bedürfnisse der älteren Menschen in der Wohnbaupolitik aufzunehmen, «insbesondere was das zur Verfügung stellen von hindernisfreiem Wohnraum an zentralen Lagen betrifft». Der Kanton sei in der Wohnbauförderung nicht aktiv, heisst es in der Antwort der Regierung. Der Fokus liege deshalb auf der Beratung und Information der Gemeinden.

Die Regierung bleibt zurückhaltend

Dass der Aargau keine Massnahmen in der Wohnbauförderung kenne, habe der Regierungsrat schon mehrmals ausgeführt. Zudem habe der Grosse Rat zwei Motionen für kantonale Massnahmen abgelehnt und damit bekräftigt, dass er hier keine explizite Aufgabe des Kantons sieht. Dessen Rolle sei eine indirekte: «Im Bereich Bau und Planung kann er dazu beitragen, dass sich das private Wohnungsangebot optimal entwickelt.»

Der Hauptgrund für die Zurückhaltung des Kantons in der Wohnbauförderung sei, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt regional sehr stark unterscheide, heisst es in der Antwort. «Darum ist es sinnvoll, dass die Gemeinden bei Bedarf Massnahmen treffen, die auf die Verhältnisse vor Ort abgestimmt sind.»

Der Kanton kann den Wohnungsmarkt nicht beeinflussen

Ein weiteres Problem sehen die Interpellanten darin, dass ältere Menschen auch nach Auszug ihrer Kinder in vergleichsweise grossen Wohnungen oder Häusern verbleiben. Einer der Gründe dafür sei der Mangel an vergleichbar günstigen Wohnalternativen in der Nähe zum aktuellen Wohnort.

Die Interpellanten wollten von der Regierung wissen, wie diese sicherstellt, dass die Wohnflächeneffizienz erhöht und älteren Menschen eine bedürfnisorientierte Wohnalternative geboten wird. Diese anerkennt das Problem grundsätzlich: Nur wenn ältere Menschen eine passende Wohnung fänden, könnten sie ihr angestammtes Haus oder ihre grössere Wohnung aufgeben.

Allerdings sieht sich die Aargauer Regierung auch hier nicht direkt in der Verantwortung: «Der Kanton kann weder den Wohnungsmarkt noch die Wohnmobilität direkt beeinflussen.» Laut Regierungsrat verfolgen jedoch zwei Drittel der Aargauer Gemeinden bereits eine «aktive Alterspolitik». Die zehn grössten Gemeinden im Kanton böten ihren Einwohnerinnen und Einwohnern ausnahmslos Dienstleistungen für altersgerechtes Wohnen an.

Kanton könnte aus Sicht von Betsche mehr machen

Matthias Betsche ist mit der Antwort nur teilweise zufrieden: «Es ist schön, dass der Regierungsrat die Wichtigkeit des Themas anerkennt.» Der Bedarf nach altersgerechtem Wohnraum steige. Viele umzugswillige ältere Personen könnten sich aber den Umzug in eine altersgerechte Wohnung finanziell nicht leisten. «In der Bau- und Raumplanungspolitik der letzten Jahrzehnte ist diese Entwicklung vergessen gegangen», sagt Betsche.

Die Antwort des Regierungsrats bestätige seinen Eindruck. Dieser halte zwar zurecht fest, dass er im Bereich Bau und Planung bereits heute dazu beitragen könne, dass sich das private Wohnungsangebot optimal entwickle. Allerdings erkläre er in der Antwort nicht, welchen Beitrag er konkret leiste oder plane. Laut Betsche kann der Kanton durchaus gewisse Vorgaben, Planungsgrundsätze und Leitplanken setzen, wenn er das möchte: «Wenn der Bedarf nach altersgerechten Wohnungen im gesamten Kanton steigt, muss man sich doch fragen, wie dieser gedeckt werden kann.» Der Regierungsrat gehe in seiner Antwort überhaupt nicht auf die Instrumente ein, die er nutzen könnte, aber bisher nicht nutze. Für ihn sei das Thema deshalb nicht erledigt.

Die Suche nach altersgerechtem Wohnraum wird wohl auch in Zukunft zu reden geben. Laut Prognosen des Bundesamts für Statistik wird im Jahr 2025 jede fünfte Person über 65 Jahre alt sein, im Jahr 2035 sogar jede vierte. Auch im Aargau gibt es immer mehr ältere Menschen. Heute leben hier gemäss Angaben des Kantons gut 137’000 Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr, 36’500 von ihnen sind bereits 80 Jahre alt oder älter. Diese Menschen leben grossmehrheitlich selbstständig. Erst in der Alterskategorie ab 90 Jahren ist das Pflegeheim die häufigste Wohnform vor dem immer noch sehr verbreiteten selbstständigen Wohnen.