Karriere und Kinder: Die Aargauer Unternehmerin Andrea Anliker spricht über die Hürden und wie man sie meistern kann
Das Interview mit Andrea Anliker findet online statt. Effizient und gut in ihren Zeitplan integrierbar – ein Zeitplan, der stets voll ist mit Kundenterminen und Kontrollterminen beim Kinderarzt. Denn die 36-Jährige ist selbstständige Unternehmerin im Marketingbereich, Ehefrau und Mutter von zwei kleinen Kindern.
«Als Frau hat man stets verschiedene Hüte an», beginnt die gebürtige Rheinfelderin unser Gespräch. «Ich glaube, dass es deshalb nur so wenige berufstätige Mütter in Spitzenpositionen gibt oder solche, die Vollzeit arbeiten.» Laut Statistiken ist der Anteil Frauen in den höheren und mittleren Managementebenen um einiges geringer als bei Männern.
Und gemäss dem Schilling-Report liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber lediglich bei 19 Prozent.
Andrea Anliker arbeitet seit fünf Jahren Teilzeit. Doch wie ist das als selbstständige Unternehmerin möglich? Ihr Zauberwort heisst Struktur. «Wir haben im Unternehmen die Verantwortlichkeiten und Arbeitsprozesse klar strukturiert. Der Outlook-Kalender ist mein wichtigstes Instrument, in welchem ich alles ganz akribisch einplane», erklärt die Unternehmerin.
So könne sie ihre Kunden in definierten Zeitfenstern effizient bedienen und auch für ihre Kinder da sein. «Nur spontane Anrufe kann ich nicht meistern.» Zu Spitzenzeiten beschäftigte Andrea Anliker vier Angestellte, alle wiederum in Teilzeitpensen.
Mental Load und Männer in der Verantwortung
Zwei Jahre nach der Firmengründung wurden Andrea Anliker und ihr Mann zum ersten Mal Eltern. Hätte sie auch mit Kindern eine Firma gegründet? «Ja, aber das Unternehmen wäre sehr viel langsamer gewachsen. Eine Firmengründung braucht viel Zeit und Energie, vor allem zu Beginn. Mit einem Kind oder zwei hätte ich meine Kapazitäten gesprengt und die Firma nicht so vorantreiben können, wie ich es mir gewünscht hätte», sagt die Unternehmerin.
Wie bringt man Kinder und Karriere unter diese besagten Hüte? Es sei schwierig, weil eine Frau als Mutter heute immer noch den grössten Teil der allgemeinen Care-Arbeit übernimmt. «Männer haben weniger wie wir Frauen den bekannten ‹Mental Load›, diese niemals endende Liste an Aufgaben im Hinterkopf, die es zu organisieren gilt», sagt Andrea Anliker. Aber das ändere sich gerade, und sie beobachte, dass Männer heute viele Aufgaben übernehmen, die klassisch eher Frauen zufallen, wie zum Beispiel das Organisieren von Freizeitaktivitäten, Planen von Arztterminen oder das Vorbereiten der Znüniboxen.
Ihr Mann gehört in diese Kategorie von Männern. Er hat selbst einen Job in einer Schlüsselposition inne und die Möglichkeit, auch mal zu Hause bei den kranken Kindern zu bleiben oder vom Homeoffice aus zu arbeiten. So kann er Andrea Anliker den Rücken freihalten, damit sie ihr Unternehmen führen kann – eine Selbstverständlichkeit für ihn.
Die 36-Jährige weiss, dass sie und ihr Mann nicht die Norm sind. Denn oft bleibt meistens die Mutter zu Hause, wenn das Kind krank ist. Das sei ein Luxus, den viele Frauen nicht immer haben. Mit seiner Hilfe funktioniert die Vereinbarkeit zwischen Karriere und Kinder. «Männer sollen sich ebenfalls Zeit für ihre Familie und Privatleben nehmen können, auch im Angestelltenverhältnis. Es ist unfair, dass nur ein Elternteil die volle Verantwortung übernehmen soll – egal, ob als Mutter oder Vater.»
Als Eltern die Aufgaben teilen
Das grosse Thema einer berufstätigen Mutter bleibt die Organisation der Kinderbetreuung. Andrea Anliker und ihr Mann haben zwar nebst Kita- und Kindergartenplatz ein gut strukturiertes Supportsystem aus Familie und Freunden, aber auch das kann reissen. Was passiert dann? «Dann sprechen wir uns ab und es bleibt derjenige zu Hause, der an diesem Tag keine dringlichen oder wichtigen Termine hat», sagt die 36-Jährige.
Und was passiert, wenn eines der Kinder eine schlechte Nacht hat und Anliker kaum schläft? Kann sie als Chefin einfach blaumachen? «Nein, ich muss selbst als Unternehmerin meine Aufgaben abarbeiten und Termine einhalten. Müde hin oder her. An diesen Tagen hilft mir viel Kaffee.»
Mittlerweile ist ihr älteres Kind im Kindergarten und das jüngere ist aus dem Babyalter raus. Ist das nun einfacher, wenn die Kinder krankheitsbedingt zu Hause bleiben müssen und Andrea Anliker nebenbei arbeitet? «Sie sind jetzt definitiv anspruchsvoller als früher», lacht die junge Mutter. Ein Baby kann sich eine gewisse Zeit lang mit einem Spielzeug beschäftigen und schläft meistens sehr viel. Man kann in dieser Zeit arbeiten. Ein Kleinkind fordert die volle Aufmerksamkeit und schaut, was die Erwachsenen so treiben. Schlafen? Das war mal.
Mit der Veränderung mitgehen
Nach acht Jahren der Selbstständigkeit, sechs davon als arbeitstätige Mutter, stand Andrea Anliker Mitte 2023 vor einer grossen Entscheidung. Die Koordination der Teilzeitstellen und der erhöhte Akquiseaufwand durch mehr Mitarbeitende stimmte nicht mehr mit ihren eigenen Bedürfnissen und dem Zeitbedarf für die Familie überein. Wie soll es mit ihren Unternehmen weitergehen? Wo liegen heute ihre Prioritäten als Frau und Mutter?
Sie hat sich deshalb entschieden, ihr Unternehmen zu verschlanken und die Kundenprojekte wieder in die eigene Hand zu nehmen, ohne Angestellte. Dieser Schritt war nicht einfach, für sie als Mensch jedoch wichtig. «Man muss als Mutter flexibel bleiben und auf sich selbst und seine Bedürfnisse hören.»
Die junge Unternehmerin hatte stets ein hohes Tempo drauf. Nach dem Bachelor-Studiengang in Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Basel folgte etwas später der Master in Digital Marketing and Communication Management an der Hochschule Luzern. Dann die Firmengründung.
Ihren Werdegang würde sie wieder genauso machen
Ihren Werdegang würde sie heute wieder genauso antreten. Ihr sei bewusst, dass es auch heute noch ein Luxus sei, als Mutter beruflich in einer führenden Rolle tätig zu sein. Nicht jede Frau habe so viel Unterstützung wie sie. Denn leider sei das noch die Realität, dass sich viele zwischen Kind oder Karriere entscheiden müssen.
Auch Andrea Anliker hat ihre Prioritäten neu definiert. Andere Menschen entscheiden sich oft später im Leben, etwas mehr auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. «Vielleicht entscheide ich mich später nochmals dazu, Angestellte einzustellen, wenn die Kinder etwas grösser sind. Zwischenzeitlich geniesse ich jedoch die Zeit mit etwas weniger beruflicher Verantwortung. Die Kinder fordern mich genug heraus», lacht die junge Mutter und verabschiedet sich zum nächsten Termin.