«Güselkanton» Aargau: Würenlingen Kölliken und das Geschäft mit dem Abfall
Alle Zeitungen berichteten darüber: «Gemeindeschreiber angeklagt», titelte die NZZ, von der «Affäre Bärengraben» schrieb das «Thuner Tagblatt» und der Berner «Bund» von der «Skandaldeponie». Was war geschehen?
Am 29. September 1986 wurde der langjährige Gemeindeschreiber von Würenlingen verhaftet. 27 Jahre war er bis dato in Amt und Würden gewesen. Nun wurden ihm Veruntreuung und illegale Müllgeschäfte im Zusammenhang mit der Deponie Bärengraben vorgeworfen, welche von der Ortsbürgergemeinde seit 1963 in einem ehemaligen Zementsteinbruch betrieben wurde.
Tatsächlich sollten die Ermittlungen ergeben, dass der Mann während 13 Jahre als Verwalter der landesweit bekannten Entsorgungsstelle mit fingierten Gebühren über drei Millionen Franken in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. Teile des Geldes fand die Polizei – wie in einem Sonntagskrimi – in der Umrandung des Swimmingpools im Garten des Delinquenten.
Jede Minute gelangten 45 Liter giftiges Wasser in die Umwelt
Abgesehen von der kriminellen Energie des Beamten zeigte der Fall, wie nachlässig und leichtsinnig hierzulande mit schädlichen Abfällen umgegangen wurde. Der Bärengraben war die grösste Multikomponentendeponie im Aargau und eine der grössten des Landes. Neben Hauskehricht wurden auch Sperrgut, Schlacke oder Schlämme abgelagert. Was wirklich alles in die Grube gekippt wurde, wusste niemand.
Bis 1983 gehörte auch Sondermüll dazu, angeliefert von Kunden wie der Armee oder der chemischen Industrie aus dem In- und Ausland. Erst Ende der 1980er-Jahre wurde die als unbedenklich eingestufte Geologie des Bärengrabens genauer untersucht. Das Ergebnis: 45 Liter giftiges Sickerwasser gelangten Minute für Minute in die Umwelt. Der Bärengraben musste saniert werden.
Die rund drei Millionen Kubikmeter Abfall – davon etwa 200’000 Kubikmeter Sondermüll – waren eine tickende Zeitbombe geworden. Ein gefährlicher Riesenhaufen Zivilisationsmüll von 600 mal 60 Metern. Das lukrative Geschäft wurde zum Finanzdebakel. Hatte man über die Jahre damit 12 Millionen Franken verdient, stand nun eine Sanierung von 30 Millionen ins Haus.
Macht die Deponie krank?
Würenlingen kam nicht zur Ruhe: Eine auffällige Häufung von Tumorerkrankungen in der näheren Umgebung der Deponie sorgte bald für grosse Verunsicherung in der Bevölkerung. Ein örtlicher Bürgerverein verlangte 1988 vom kantonalen Gesundheitsamt entsprechende Abklärungen und im Grossen Rat wurde eine Anfrage dazu eingereicht.
Das Anliegen wurde ernst genommen und die Fälle von Spezialisten des Zürcher Krebsregisters untersucht. 1989 informierte Gesundheitsminister Peter Wertli die Öffentlichkeit und bestätigte, dass die elf bekannten Erkrankungen tatsächlich überdurchschnittlich viele seien. Gleichwohl beschwichtigte er mit dem Verweis auf die Zufallshypothese. Hinweise auf umweltbedingte Gründe für diese Häufung von Hirntumoren würden fehlen. Diese Schlussfolgerung stützte eine 1991 vorgelegte Studie der Universität Zürich.
Gefängnis für Gemeindeschreiber
Und der Gemeindeschreiber? Er wurde im August 1988 zu drei Jahren Haft, einer Busse von 150’000 Franken sowie einer Amtsunfähigkeit von fünf Jahren verurteilt. Seine Einsicht und Reue wirkten sich strafmildernd aus. Der Mann bezahlte der Ortsbürgergemeinde denn auch die volle Deliktsumme von 3,1 Millionen samt Zins in der Höhe von 800’000 Franken zurück.
Eine Ironie an der Geschichte sollte indes nicht unerwähnt bleiben: Schon der Vorgänger des Millionenbetrügers im Amt des Würenlinger Gemeindeschreibers wurde 1959 seines Amtes enthoben und wegen Urkundenfälschung verurteilt. Und der Bärengraben? Er wurde noch bis 2010 weiter betrieben.
Das Sondermüll-Denkmal von Kölliken
Ein Jahr vor der Verhaftung in Würenlingen nahm im Westaargau ein Debakel von weit grösserem Ausmass seinen Lauf. Im Frühjahr 1985 wurde die Sondermülldeponie Kölliken vom Gemeinderat zwangsgeschlossen, nachdem sich Berichte über Gestank und auslaufende Deponiesäfte häuften.
Seit 1977 wurden hier eine halbe Million Tonnen problematische Abfälle entsorgt. Auf acht Betriebsjahre folgten über 30 Jahre der Nachsorge. Zunächst wurde – ähnlich wie in Würenlingen – mit Drainagen und Abfackelungsanlagen das Gift im Zaum gehalten. 2003 verfügte der Kanton schliesslich den vollständigen Rückbau der Deponie und die korrekte Entsorgung der kontaminierten Erde.
Während der Bärengraben in den nationalen Medien längst in Vergessenheit geraten war, wurde über der Sondermülldeponie von Kölliken zum Schutz der Umwelt die grösste stützenfreie Halle der Schweiz gebaut. Elf Jahre lang dauerte der eigentliche Rückbau dessen, was während acht Jahre unsachgemäss verbuddelt wurde. Kostenpunkt: 850 Millionen Franken. Die Rückbauhalle an der A1 wurde zum landesweit bekannten Mahnmal. 2019 wurde sie zerlegt.