Ist am 22. September schon Schluss mit den Negativzinsen? Die EZB-Chefin Christine Lagarde weckt neue Hoffnung
«Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals zu beenden.» So steht es in überraschender Deutlichkeit in einem Blogbeitrag, den die Europäische Zentralbank heute veröffentlicht hat.
Darin kündigt Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, neue Perspektiven an für die Eurozone – und damit auch für die Schweiz, deren Nationalbank oft im Schlepptau der Europäischen Zentralbank agieren muss. Wenn Lagarde die Leitzinsen erhöht, dann kann es Nationalbank-Präsident Thomas Jordan auch.
Derzeit müssen Europas Banken noch einen Zins von 0,5 Prozent zahlen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank parken. Ende des dritten Quartals – also schon Ende September – wäre es damit in der Eurozone vorbei. In der Schweiz könnte die Nationalbank an ihrer darauffolgenden geldpolitischen Lagebeurteilung schon nachziehen. Das wäre dann der 22. September. Das Ende der Negativzinsen käme also schon dieses Jahr, auch für die Schweiz. In ungefähr vier Monaten.
Der 22. September dieses Jahres – das wäre noch ein gutes Stück schneller, als es die Zürcher Kantonalbank erwartet hatte. Im Februar veröffentlichten ihre Bankenökonomen einen Bericht, wonach 2023 nach über sieben Jahren die Ära der Negativzinsen zu einem Ende kommen könnte.
Das schien damals gewagt, nun könnte es noch schneller gehen – was zeigt, in welchem Tempo sich diese Zinswende vollzieht. Die rekordhohe Inflation zwingt die Europäische Zentralbank dazu. Im April wurde eine Teuerung von 7,4 Prozent zum Vorjahr ausgewiesen.
Wie stark steigen die Hypothekarzinsen an?
Jordan wird aber wahrscheinlich nur die Chance bekommen, die Negativzinsen zu beenden – er wird nicht unter Zugzwang geraten. ZKB-Chefökonom David Marmet sagte im Februar auf Anfrage: «Der Nationalbank bietet sich unserer Ansicht nach 2023 die Chance, die Negativzinspolitik hinter sich zu lassen.» Seiner Ansicht nach geht es in der Schweiz hoch auf null Prozent – und nahe davon «notieren die Leitzinsen noch für lange Zeit».
Nach damaliger Ansicht Marmets wird Jordan nicht höher gehen müssen mit den Leitzinsen. Denn die Inflation werde noch immer wie erwünscht unter zwei Prozent liegen oder zumindest nur vorübergehend höher. Also gibt es eher so etwas wie eine Minizinswende. Ist dem so, steigen auch die Zinsen auf Hypotheken nicht allzu hoch. Zu den Aussichten für die Zinsen auf die mittlere Frist sagte der SNB-Vizepräsident Fritz Zurbrügg jüngst:
«Das globale Zinsniveau dürfte tief bleiben, da strukturelle Faktoren wie Demografie, Ungleichheit und eine starke Nachfrage nach sicheren Vermögenswerten auf die Zinsen drücken.»
Warum soll Jordan die Leitzinsen überhaupt anheben, auch wenn die Inflation in der Schweiz vergleichsweise moderat bleibt? Nach damaliger Ansicht der Zürcher Kantonalbank lautet die Antwort darauf: Weil der Negativzins gewisse Nebenwirkungen hat. Er befeuert den Boom am Immobilienmarkt, der nach Ansicht von Jordan schon viel zu weit gegangen ist.
Die Nationalbank spricht von einer «substanziellen Verwundbarkeit» oder deutlicher ausgedrückt: der Gefahr eines Crashs. Dagegen könnte Jordan etwas tun, wenn er den Negativzins aufhebt. Die Preise von Immobilien würden deswegen zwar noch nicht fallen – aber wenigstens weniger schnell steigen.
Alles hängt auch von der Inflation ab
«Wenn sich die Inflation mittelfristig bei zwei Prozent stabilisiert, wird eine schrittweise weitere Normalisierung der Zinssätze in Richtung des neutralen Zinssatzes angemessen sein», wie Lagarde in ihrem Blogbeitrag schrieb. Lässt die Inflation schnell nach, muss die Zentralbank nicht übermässig weit hoch mit den Zinsen. Auch um zu verhindern, dass die Eurozone in eine Rezession stürzen würde.
Lagarde schreibt vorsichtig: «Das Tempo der geldpolitischen Anpassung und ihr Endpunkt werden jedoch davon abhängen, wie sich die Schocks entwickeln und wie sich die mittelfristigen Inflationsaussichten im weiteren Verlauf gestalten.»
Und auch die Schweizerische Nationalbank wollte kürzlich Härte gegenüber der Inflation zeigen. Direktionsmitglied Andréa Maechler sagte in einem Interview mit der Zeitung «Bilan»: «Wenn die von uns erwartete Inflation mittelfristig nicht auf eine Spanne zwischen null und zwei Prozent zurückgeht, werden wir nicht zögern, die Geldpolitik zu straffen.»