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Staraufgebot, Galapremieren und ein richtig gutes Programm: Das ZFF geht in die Vollen

Das Zurich Film Festival ist eine Wundertüte, die es allen recht machen will. Damit könnte es in dieser Ausgabe gut fahren. 

Das ZFF schöpft aus den Vollen. An der heutigen Programmvorstellung scheute sich Festival Direktor Christian Jungen nicht vor Superlativen: Man habe die meisten (Stars), die besten (Galapremieren), die stärksten (Wettbewerbsfilme). Das Zurich Film Festival wächst und öffnet mit seinem Programm eine Wundertüte, die für alle etwas bereit hält. Manche Kritiker monieren zwar, dass durch diesen ambitionierten Gemischtwarenladen das Profil des Festivals an Schärfe verliert. Doch solche Branchenfeinheiten dürften dem breiten Publikum herzlich egal sein.

In den elf Tagen vom 22. September bis zum 2. Oktober werden rund um den Sechseläutenplatz – und neu sogar mit einer Exil-Station in Winterthur insgesamt 146 Filme aus 49 Ländern gezeigt, 18 davon sind Schweizer Produktionen. Und 60 Filme stammen von Frauen, auch darauf ist man stolz. Galapremieren holen den Glamour in die Stadt: Stars der Extraklasse wie Eddie Redmayne, Charlotte Gainsbourg ( beide erhalten den Golden Eye Award), Sir Ben Kingsley (Golden Ikon Award) werden in Zürich sein und Luca Guadagnino (Tribute Award). Ebenso Til Schweiger und Machine Gun Kelly, der Abends im Hallenstadion auftritt. Das Blitzlichtgewitter sollte jedoch die je 14 Filme in den drei Wettbewerbskategorien nicht überstrahlen.

Das ZFF, das sich weniger als Schweizer und mehr als eines der grossen Filmfestivals der Herbstsaison versteht, widmet den «Fokus Wettbewerb» Produktionen aus der Dach-Region. So etwa Tine Rogolls «Sachertorte». Der Liebesfilm ist eine Deutsch-Österreichische Co-Produktion mit dem Schweizer Max Hubacher in einer Hauptrolle.

Die Wettbewerbe für Spielfilm und für Dokumentarfilm fallen in diesem Jahr durch besonders viele Erstlingswerke auf, jeweils acht Werke sind von neuen Talenten eingegeben worden. Die Zerbrechlichkeit der Welt, gesellschaftliche Umbrüche und Konflikte ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm. Das amerikanische Drama «War Pony» (Gina Gammell, Riley Keough) reist in ein Reservat der Lakota und zeigt dort ein Leben weit weg vom «American Dream». Im Dokumentarfilmwettbewerb begleitete Regisseurin Victoria Fiore während fünf Jahren ihrem Protagonisten, ein jugendlicher «Charmebolzen», der aus seiner mafiösen Familie in Neapel ausbrechen will.

Was sich in den letzten Jahren etabliert hat, setzt sich mit dieser Ausgabe fort: Das ZFF ist zum geballten Best-Off-Paket anderer Festivals geworden. Der Eröffnungsfilm «The Swimmers»von Regisseurin Sally El Hosaini läutet am heutigen Mittwoch ebenfalls das Toronto Film Festival ein. Aus dem Gastland Spanien sehen wir unter anderem «Alcarràs», der an der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewann.

Und auch der Sieger der Goldenen Palme ist am Start, Ruben Östlunds Brachialsatire «Triangle of Sadness». So wird für ein deutschsprachiges Publikum fleissig fremdes Edelmetall versammelt.

Anders als in Cannes, das dem Kinosaal noch als kultischem Heiligtum huldigt, hat man in Zürich vor Streamingdiensten allerdings keine Scheu. «Netflix ist der neue Himmel für Autorenfilmer», sagt Christian Jungen, der jedoch weiterhin an die grosse Leinwand glaubt: «Wir zeigen Filme nur, wenn wir sie auch auf der Leinwand zeigen können.» Der deutsche Auswahlkandidat für den Oscar «Im Westen nichts Neues», eine weitere Neuverfilmung des berühmten Anti-Kriegs-Romans von Erich Maria Remarque, läuft ebenso in Zürich wie «The Good Nurse» über einen todbringenden Krankenpfleger (mit Eddie Redmayne). Beide Filme laufen noch diesen Herbst auf Netflix an.

Ohnehin tut sich so manch schöner Kontrast auf in Zürich: Während etablierte Superstars geehrt werden, feiert der erste Exploitation-Film Schweizer Machart («Swissploitation») läuft im Kongresssaal auf der grössten Leinwand des Landes. «Mad Heidi». Richtig gehört, Johanna Spyris geliebtes Almmädchen kriegt es in diesem blutigen Trash-Feuerwerk im Geiste von «Iron Sky» mit Käse-Nazis und tödlicher Toblerone zu tun. Das Ergebnis könnte wahlweise herrlich lustig oder zutiefst dämlich sein, womöglich jedoch beides.

Ebenfalls aus der Schweiz kommt die Rentnerkomödie «Die goldenen Jahre», der neben «De Räuber Hotzenplotz» zu einem wahren Publikumsliebling werden könnte.

Überhaupt birgt das Kinderprogramm ordentlich Sprengstoff. Wo man sich im übrigen Programm politisch auf der sicheren Seite wähnen kann – es gibt Filme mit einem Cast aus der LGBTQ-Gemeinschaft («Bros»), einen dokumentarischen Thriller zum Mord des Rignier-Journalisten Ján Kuciak («The Killing of a Journalist») – traut man sich hier an heisses Eisen. Ausgerechnet «Der junge Häuptling Winnetou», also der Film zu dem die Bücher aus dem Verlag genommen wurden, feiert am ZFF seine Schweizer Premiere. Christian Jungen: «Wir geben der Cancel Culture nicht nach. Ich finde, es ist schwieriger geworden, ein Filmfestival zu kuratieren, weil irgendwann immer die Frage auftaucht <Darf man das?>. Ein Film muss nicht jedem gefallen, aber man muss einen Film erst gesehen haben, um über ihn debattieren zu können.» Die Debatte um den Kinderfilm wurde nachweislich medial aufgeheizt, nun aber kann man mit eigenen Augen prüfen, inwieweit man dem Kindheitshelden einer kritischen Revision unterziehen sollte.

«The Banshees of Inisherin» von Martin McDonagh: Der Regisseur von «Brügge sehen… und sterben» und «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» liefert erneut eine rabenschwarze Komödie, die mitten ins Herz einer irischen Freundschaft zielt.

«The Woman King» von Gina Prince-Bythewood: Hauptdarstellerin Viola Davis zieht als Anführerin der westafrikanischen Agojie-Kriegerinnen in den Kampf gegen europäische Kolonialisten; ein historischer Stoff, der – im Gegensatz zu vielen anderen – dem breiten Publikum noch nicht so bekannt sein dürfte.

«Becoming Giulia» von Laura Kaehr begleitet die Balletttänzerin Giulia Tonelli, vom Mutterschaftsurlaub zurück auf die grosse Bühne, die – sozusagen nebenan – im Opernhaus Zürich liegt. Die Schweizer Regisseurin schliesst mit dem Dok-Film an die aktuelle Debatte um den massiven Leistungsdruck im Tanzsport an.

«Corsage» von Marie Kreutzer: Die österreichische Kaiserin Sisi wird gerade weithin wiederentdeckt, in dieser mit Spannung erwarteten europäischen Co-Produktion in ihren späteren Jahren des tiefen Zweifels.