Zwei Freunde produzieren in Zofingen erstklassigen Cidre
Ein Kellerraum im Trilapark-Geschäftsgebäude, in dem es vor allem an einem fehlt: Platz. Ein gewaltiges Flaschenlager, das bis fast an die Decke reicht, im Raum stehen Eichenholz-Fässer neben Stahltanks, kleinere neben grösseren Gärtanks.
Im rund 100 Quadratmeter grossen Kellerraum mitten im Zofinger Industriegebiet stellte der Strengelbacher Metsieder Alexander Eckert bisher ausschliesslich erstklassige, handwerklich produzierte Honigweine her. Doch nun sind ein neues Produkt und ein neuer Partner dazugekommen. Alles andere als freiwillig – denn diese Partnerschaft haben weder Vitalii Karvyha noch Alexander Eckert gesucht. Sie ist das Produkt einer jahrelangen Freundschaft und der Tragik des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Doch ganz von vorne.
International renommierter Cidre- und Met-Produzent
Da ist auf der einen Seite der 45-jährige, ausgebildete Önologe Vitalii Karvyha. Seit etwa 20 Jahren versuchte sich der in Kiew wohnhafte Ukrainer mit der Herstellung von Cidre, einem natürlichen alkoholischen Getränk, das hauptsächlich aus Äpfeln gewonnen wird. Cidre kommt im Gegensatz zum stillen Apfelwein prickelnd, spritzig und mit einem leicht säuerlichen und aromatischen Geschmack daher. Vor sieben Jahren professionalisierte Karvyha sein Geschäft. Seine Produkte, die europaweit und in den USA mehrere Auszeichnungen erlangten, vertrieb er bisher unter der Marke «Berryland Cidery». Cidre war nicht das einzige Produkt, welches der Ukrainer produzierte. Neben Cidre stellte er auch Met und sogenannten Melomel her – mit Früchten oder Fruchtsaft aus Rhabarber, Holunderblüten oder Aprikosen versetzten Met.
Damit ist der Bogen zu Eckert gespannt. Über die Metherstellung lernten sich die beiden vor neun Jahren kennen und schätzen. Sie gehörten auch zu den Gründungsmitgliedern der «European Mead Makers Association», des europäischen Verbands der Methersteller.
In die dänische Hauptstadt geflohen
Und dann überfiel Russland die Ukraine. Bei den Angriffen auf Kiew wurde die Cidery von Karvyha zerbombt, er selber floh in die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Nach der Flucht begann Karvyha damit, nach Produktionsstätten zu suchen. «Weil ich nicht komplett von der Bildfläche verschwinden wollte», wie er selber sagt. Erfolglos. Im Spätsommer 2022 wandte sich Karvyha ziemlich verzweifelt an Eckert. «Da ich im Keller Platz für ein paar weitere Tanks hatte und auch meine Grosseltern Flüchtlinge waren, konnte ich natürlich nicht nein sagen», sagt der Zofinger Metsieder über seine Beweggründe für ein gemeinsames Projekt.
Für Karvyha schloss sich damit ein Kreis. «Mein letzter Export aus Kiew ging zwei Tage vor Kriegsausbruch in die Schweiz – nach Aigle», sagt er lächelnd. Überhaupt ist Karvyha von der Schweiz angetan. «Ich finde hier gute Produktionsbedingungen vor, bestes Rohmaterial und Konsumenten, die auch bereit sind, für gute Qualität etwas tiefer ins Portemonnaie zu greifen.»
Auszeichnung für Alexander Eckert
Bei der «European Mead Makers Conference» wurde der Strengelbacher Metsieder Alexander Eckert als Met-Persönlichkeit des Jahres ausgezeichnet. Eckert erhielt die besondere Auszeichnung für seine Bemühungen, die europäischen Metsieder an einen Tisch zu bringen und Met in Europa wieder bekannt zu machen. (tf)
Der Rest ist Geschichte. Eckert konnte nach langem Suchen im Thurgau und im Rheintal knapp 7000 Liter Most erwerben und setzte diesen in seiner Kellerei an. Produziert haben die beiden in Zofingen vier verschiedene Cidre-Sorten. Neben einem reinen Apfel-Cidre wurde auch ein frischer und prickelnder Cidre hergestellt, der mit Yuzu, einer Zitrusfrucht aus dem japanisch-koreanischen Raum, ausgebaut wurde. «Die anderen Sorten sind eigentlich ein Food-Waste-Projekt», sagt Eckert. «Wir haben den Most auf Trester gelagert – die Pressrückstände der Trauben haben dabei so stark abgefärbt, dass die Trauben sehr gut zu schmecken sind», sagt er. Die beiden haben dabei einerseits einen Cidre mit einer Mischung aus Cabernet-Jura und Regent-Trester, andererseits mit Pinot-Noir-Trester abgefüllt. «Weinliebhaber werden diese beiden Cidres mögen, die ganz toll zu einheimischen Käsesorten passen», ist sich Karvyha sicher, während der Yuzu-Cidre ganz hervorragend mit Gerichten aus der asiatischen Küche kombiniert werden könne.
In der zweiten März-Woche weilte Karvyha in der Schweiz, um gemeinsam mit Eckert die vier verschiedenen Cidres abzufüllen. Momentan werden sie in der Flasche gelagert, um weiter zu reifen. Ungefähr Anfang April soll die Flaschenlagerung in Zofingen abgeschlossen sein; die vier Produkte sind dann verkaufsbereit. Vertrieben werden sie unter der Marke «Zofinger Kellerei», einem Gemeinschaftsunternehmen der beiden Freunde. «Berryland ist als Marke aktuell auf Eis gelegt», bedauert Karvyha, momentan sei alles sehr ungewiss. «Ich habe in meinem Leben üblicherweise auf ein Jahr hinaus geplant – jetzt kann ich höchstens auf die nächsten zwei Wochen hinaus planen», sagt er. Doch mit dem Entscheid, unter der Marke «Zofinger Kellerei» zu produzieren, kann sich der Ukraine-Flüchtling hundertprozentig identifizieren. «Ein Produkt muss den Ort zum Ausdruck bringen, aus dem es stammt», betont er. Und was den internationalen Markt betreffe, sei die Entscheidung sowieso richtig, führt er weiter aus: «Produkte aus der Schweiz geniessen international einen hervorragenden Ruf.»
Karvyha und Eckert sind zuversichtlich, dass sich die Cidre- Produkte aus der Zofinger Kellerei, die in 0,75-Liter-Flaschen abgefüllt wurden, gut absetzen lassen werden. Angesprochen werden sollen sowohl Privatpersonen als auch die Gastronomie. Geplant ist auch eine öffentliche Verkaufsveranstaltung, deren Termin allerdings noch nicht festgelegt wurde. «Erst wollen wir das Resultat der Flaschengärung abwarten», betont Eckert.
Bereits vor dem Verkaufsstart haben sich die beiden Freunde Gedanken gemacht, welche Produkte sie in Zukunft noch herstellen möchten. Eines ist heute schon klar: In Zofingen soll weitergetüftelt und -experimentiert werden. Nach Möglichkeit mit Produkten, die noch näher aus der Region Zofingen kommen. «Das war letztes Jahr leider nicht möglich», sagt Eckert.
Einen «Versuchsballon» haben Eckert und Karvyha bereits steigen lassen – von einem Hopfen-Cidre haben die beiden versuchsweise rund 100 bis 200 Flaschen bereits abgefüllt. Weitere Projekte sind angedacht. «Ich hoffe, in der Schweiz einen alten Wildapfel zu finden, um aus diesem einen Cidre produzieren zu können.» Zudem möchte Karvyha in Zukunft auch einen lagerfähigen Cidre produzieren, denn ein guter Cidre habe ein Alterungspotenzial von maximal drei bis vier Jahren. Dazu seien in erster Linie Cidre aus einem Apfel-Birnen-Most geeignet.
Cidre ist in der Schweiz im Kommen
Lange Zeit fristeten alkoholische Getränke aus Apfel und Birne in der Schweiz ein Schattendasein. Im Gegensatz zu Frankreich hatte die Produktion von Cidre überhaupt keine Tradition in der Schweiz. Doch in den letzten Jahren hat ein Umdenken eingesetzt, weil sich auch etliche Weinproduzenten für den Ausbau von Cidre engagierten. «Wir stellen eindeutig fest, dass der Cidre auch in der Schweiz im Kommen ist», sagt Eckert.