«Zweifel, ob bestehende Massnahmen reichen»: Taskforce fürchtet Überlastung
Der Verlauf der Pandemie in der Schweiz sei erneut in eine kritische Phase eingetreten, so die Einschätzung der Covid-19-Taskforce. «Die Delta-Welle ist jetzt zu brechen», sagte deren Vizepräsident Urs Karrer am Dienstag in Bern vor den Bundeshausmedien. Er befürchtet, dass das Gesundheitssystem noch im Dezember überlastet wird und die gewohnte Behandlungsqualität dann nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Nach Berechnungen der Taskforce tritt dies ein, wenn schweizweit mehr als 400 Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf auf Intensivstationen liegen. Seit gut einer Woche liegt deren Zahl über 200.
Derzeit verzeichnen die Intensivstationen der Regionen Genfersee und Zürich die höchste Auslastung. Wie Andreas Stettbacher, der Delegierte des Bundesrates für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD), ausführte, sind die Gründe dafür unterschiedlich: Im Genferseeraum nehmen Covid-19-Patienten 40 Prozent der Intensivplätze in Anspruch, im Raum Zürich nur 25 Prozent. Seit dem August beobachte man ausserdem einen Rückgang der Kapazitäten aufgrund von Mangel an medizinischem Personal, sagte Stettbacher. Derzeit gibt es in der Schweiz noch etwa 900 Intensivpflegeplätze.
Kontakte müssten um einen Drittel reduziert werden
Die Auslastung auf den Spitälern sei bereits jetzt nahe am Höhepunkt der zweiten Welle, während die Fallzahlen weiter stark im Ansteigen begriffen seien, sagte Urs Karrer. Dies werde erst in rund zwei Wochen voll auf die Intensivstationen durchschlagen. In der aktuellen Situation sei ausserdem von einer hohen Dunkelziffer an Ansteckungen auszugehen, so Karrer: «Wir schätzen, dass es in der Schweiz derzeit 100’000 bis 200’000 infektiöse Personen gibt.»
Um wenigstens bis Anfang Januar eine Trendwende bei der Intensivpflege zu erreichen, müsste der R-Wert laut den Modellen der Taskforce auf 0,8 sinken. Das heisst: Die infektiösen Kontakte müssten soweit eingeschränkt werden, dass zehn infizierte Personen im Schnitt nur noch maximal acht weitere anstecken. «Das ginge nur, wenn die infektiösen Kontakte um einen Drittel vermindert würden», sagte Karrer. Österreich habe eine solche Reduktion geschafft, aber nur mit sehr harten Massnahmen. Dort gilt seit dem 22. November und mindestens noch bis am Wochenende eine weitgehende Ausgangssperre. «Wir haben berechtigte Zweifel, dass die momentanen Massnahmen reichen», sagte Karrer mit Blick auf die Schweiz.
Altbekanntes neu verpackt: BAG startet Winterkampagne
Der Winter hat zwar längst Einzug gehalten. Auch im Flachland. Darum will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nun mit einer neuen Sensibilisierungskampagne erneut auf Verhaltensregeln aufmerksam machen, welche die Coronapandemie effektiv und auf einfachste Weise helfen einzudämmen.
«Kontakte minimieren, Maske tragen, Abstand halten»: Das und weitere Verhaltens- und Hygieneregeln sind laut BAG – nebst dem Impfen – noch immer die «wichtigsten Regeln», um die Pandemie in den Griff zu kriegen. Deren Einhaltung sei «gerade in der kalten Jahreszeit von zentraler Bedeutung, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen», schreibt das BAG am Dienstag in einer Mitteilung. «Jede und jeder, ob geimpft oder nicht, kann mit dem persönlichen Verhalten einen wichtigen Beitrag leisten, damit die Zirkulation des Coronavirus reduziert wird.»
Die neue, vorab in Gelb- und Orange-Tönen gehalten Winterkampagne, soll laut BAG ab sofort an stark frequentierten Orten, im öV, in Apotheken oder Online- und elektronischen Medien zu sehen sein. (sat)
Die Impfung allein dürfte dabei nicht ausreichen, um die Intensivstationen noch rechtzeitig zu entlasten. Laut den Berechnungen der Taskforce müsste pro Tag ein Prozent der Bevölkerung die dritte Impfung erhalten. Mit einem sofortigen Booster für alle Geimpften könnten laut Karrer 10’000 bis 20’000 Hospitalisierung verhindert werden. Derselbe Effekt würde laut Taskforce erzielt, wenn sich alle Ungeimpften sofort impfen liessen. Auch im Hinblick auf die Omikron-Variante sei eine weitgehende Immunisierung der Bevölkerung anzustreben.
Kantonsärzte-Chef spricht von weiteren Verschärfungen
Erst- und Zweitimpfungen würden derzeit aber nur noch in kleinem Ausmass verabreicht, sagte Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz. Die Kapazitäten der Kantone kämen dennoch überall an ihre Grenzen: «Der Motor glüht mittlerweile», sagte er. Aktuelle Daten aus den Schulen zeigten bei den Kindern und Jugendlichen Positivitätsraten von bis zu 1,8 Prozent. Das klinge zwar nach wenig, sei aber «20 bis 30 mal mehr als je zuvor».
«Wir müssen der Politik vielleicht bald weitere Massnahmen vorschlagen, falls sich das Geschehen nicht beruhigt», kündigte Rudolf Hauri an. Bis dahin gelte es, die bestehenden Schutzmassnahmen wieder Ernst zu nehmen: Hygiene, Abstand, Stosslüften … Auch Virginie Masserey verwies auf altbekannte Rezepte. Mit einer neuen «Winterkampagne» will das BAG denn auch erneut zum Maskentragen und Abstandhalten aufrufen.