Corinna T. Sievers schreibt Literatur für Hartgesottene. Sie ist die feministische Variante von Michel Houellebecq
Glaubt noch jemand, dass alle Männer in Frauen nur deren Fickbarkeit, Gebärfähigkeit und allenfalls Blowjob-Talent sehen? Mal abgesehen von bornierten Evolutionsbiologen, die behaupten, Männer seien auf Samenwurf programmiert, und literarischen Figuren – bei letzteren vornehmlich ältere Männer mit Potenzproblemen? Michel Houellebecq hat das Thema der lädierten Männerseelen durchexerziert und deren zynische Erschöpfungsreden immer auch als beissenden Kommentar auf die seiner Meinung nach wertezersetzende Moderne inszeniert. Das Konzept gibt ja auch jede Menge snobistische Misanthropie in Form von Ekel und Selbsthass her.
In der Schweizer Literatur variiert Corinna T. Sievers dieses Genre kraftvoll, mit bemerkenswerter Konsequenz und mit intelligenten, kaltschnäuzig vorgetragenen medizinischen und psychologischen Diskursen in ihren Romanen. «Sex ist Biologie – wie Pinkeln», «Meine Romane sind eher existenziell, weniger gesellschaftskritisch», «Mich interessiert die Intellektualität meiner Figuren mehr als ihre Triebhaftigkeit», sagte sie mir vor Jahren im Interview.
Sigmund Freud hätte grosse Freude an ihren Romanen gehabt
In «Propofol» lauschen wir dem Monolog eines alten Machos. Bernhard Rohr, Mitte 60, ein gescheiterter Starchirurg, geschieden, bald auch ohne Liebhaberin, nur noch mässig potent, mit einem Körper, den er als «Kadaver» bezeichnet. Er wäre das perfekte Objekt feministischer Verachtung. So wie er sich selbst unbarmherzig beurteilt, sieht er auch Frauen und deren verwelkende Haut. Dieser ältere Mann ist nun tatsächlich ein Exemplar, das Frauen auf ihre Fickbarkeit hin reduziert. Man muss das so unverblümt sagen, wenn man einen Eindruck dieser Prosa geben will.
Wer aber in Corinna T. Sievers Romanen nur die vulgäre Sicht auf die Triebhaftigkeit des Menschen bemerkt, übersieht das tiefere Drama. Denn intellektuell gesehen ist auch ihr neuer Roman eine Tragödie: die von der Hybris eines Mannes erzählt, der meint, Herrscher über Sex und Tod zu sein, und natürlich beides verliert. Eros und der Totengott Thanatos brechen dem Mann das Genick. Da nützen auch Kokain und Viagra nichts mehr. Sievers holt denn auch zielgenau Sigmund Freud aus der Versenkung – mit seiner Theorie der Kastrationsangst: Rohr hat höllische Angst, von jungen Frauen sexuell zurückgewiesen und von ihnen karrieremässig überholt zu werden – was für einen Macho wie ihn auf dieselbe Kränkung hinausläuft.
Atemberaubende Trennung von Siamesischen Zwillingen
Rohr steht vor dem Karriere-Höhepunkt: eine riskante Trennung siamesischer Zwillinge. Atemberaubend, wie Sievers diese Operation in allen Details und die Diskussionen der Ethikkommission zuvor ausbreitet. Denn Zwilling 1 ist nur zu retten, wenn Zwilling 2 beim Trennen getötet wird. Aber eine ruhige Hand hat Rohr nur noch dank eines Narkotikums namens Propofol. Sievers inszeniert hier nochmals den symbolischen Tod des Mannes, der seinen Höhepunkt nicht mehr erreicht.
Wohl hat Sievers gemerkt, dass der alte Macho literarisch zu wenig hergibt, weshalb das Drama der siamesischen Zwillinge den Roman aufmöbeln muss. Den Chirurgen als gefallenen Halbgott und Herrscher über Leben und Tod hat sie aber perfekt ausgewählt. Das Morbide wirkt im Roman allerdings zu repetitiv. Und dass eine Figur mit so hohem Reflexionsvermögen derart schwanzgesteuert ist, wirkt nicht durchgehend plausibel. Bemerkenswert an Sievers Prosa ist aber, dass sie ihre Figuren mehr liebevoll als verachtend beschreibt.
Liebesgefühle höchstens kurz vor dem Orgasmus
In ihren bisherigen Romanen versammelte die Autorin extreme weibliche Icherzählerinnen: masochistisch, nymphoman – aber immer vergnüglich intelligent. In «Propofol» wechselt sie die Perspektive. Was zu erwartbaren Sprachfloskeln führt. Rohrs Lieblingsworte sind halt Ficken und Muschi und über sein Gefühlsleben legt er uns dar, dass er Liebesgefühle höchstens «zwei, drei Minuten vor dem Orgasmus» habe. Fazit: rabenschwarze Prosa.