Sie sind hier: Home > Aargau > Reichsbürger in Aarau – was hinter den Treffen der Staatsgegner steckt

Reichsbürger in Aarau – was hinter den Treffen der Staatsgegner steckt

Sogenannte Reichsbürger haben an der Vorderen Vorstadt Workshops und Referate abgehalten. Was und wer verbirgt sich hinter der Gruppe von Menschen, die sich dem Staat verweigern - und was sagt die Stadt zu den Veranstaltungen?

In Aarau haben Veranstaltungen stattgefunden, die sich an Menschen aus der Szene der Staatsverweigerer richten. Das deckte die «Basler Zeitung» am Montag auf – in einem Artikel mit dem Titel «Hier finden Staatsfeinde offene Türen». Der Hauptprotagonist des Artikels hatte ein «Begegnungszentrum Aarau» mitgegründet. Das Lokal versteckt sich nicht – unten am «Wilden Mann» (Vordere Vorstadt 5) prangt das Schild «Green future Begegnungszentrum»; «Members only».

Laut der Website des Mannes, der im Luzerner Surental wohnt und sich auf der Nachrichtenplattform Telegram «der Erschaffer» nennt, hat das «Green future Begegnungszentrum» im Herbst 2022 den Betrieb aufgenommen. «Dort fanden mehrfach Reichsbürgerveranstaltungen statt», schreibt die «BAZ». Unter Reichsbürgern versteht man Menschen, die die Legitimation des Rechtsstaats stark anzweifeln, bestreiten oder offen staatsfeindlich eingestellt sind.

Das «Begegnungszentrum» befand sich im 1. Stoclk. 
Nadja Rohner

Konkret gab es mindestens ein Referat über «Staatssimulation» (manche Menschen glauben, der Staat sei nur eine Firma oder ein Verein). Ein weiterer Anlass wurde als «Workshop» zum Thema «Lebenderklärung» verkauft (Kosten: «250 Franken oder 8 Unzen Silber»). «Lebenderklärungen» sind eine Art Fantasiedokument, mit denen sich Staatskritiker als «Mensch» und nicht als «Person» ausweisen wollen, weil sie glauben, die «Person» sei ein Konstrukt des Staats.

Auch andere Veranstaltungen, die seit Oktober 2022 in Aarau stattfanden, hatten einen esoterischen bis staatskritischen Touch. Referenten sind Menschen, die vom «System» reden und andere auffordern, «aufzuwachen». «Das System will uns spalten, vollkommen kontrollieren, regieren», steht auf dem Instagram-Profil einer Referentin, die mehrmals in Aarau aufgetreten ist. «Nicht alle Engel spielen Harfe und singen, einige sind Krieger!», heisst es auf dem Flyer für einen Workshop. Die Anlässe für verschwörungstheoretische Kreise haben so oder ähnlich auch in anderen Aargauer Ortschaften stattgefunden.

Es ist nicht verboten, sich als Reichsbürger zu bekennen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo es im Reichsbürger-Umfeld zu gewaltsamen Zwischenfällen kam – es wurden im vergangenen Dezember 25 Personen festgenommen, die einen gewaltsamen Umsturz der Regierung geplant hatten – ist es in der Schweiz laut «NZZ» noch relativ ruhig. Beim Nachrichtendienst des Bundes und dem Bundesamt für Polizei ist das Thema gleichwohl auf dem Radar.

In der «NZZ» erklärte Extremismusexperte Dirk Baier, die Situation sei in der Schweiz unter anderem deshalb ruhiger, weil die Staatsverweigererszene sehr heterogen sei: Das Terrain sei vor allem von Querulanten besetzt, die die Behörden zwar enorm beschäftigten, es aber nicht schaffen, grössere Netzwerke mit einem gemeinsamen Ziel zu etablieren. Auch fehlt eine direkte Verbindung in die Politik, wie sie in Deutschland etwa mit der AfD besteht. Dennoch sei eine stärkere Wachsamkeit auch hierzulande wichtig.

Veranstaltungen sind nicht verboten

Veranstaltungen wie jene in Aarau sind nicht verboten, aber: «Nebst den Einschränkungen der privaten Veranstalter gelten an Vorträgen/Workshops/öffentliche Veranstaltungen generell die üblichen gesetzlichen Regelungen, wonach nicht öffentlich zu Gewalt oder Diskriminierung aufgerufen werden darf», heisst es vonseiten der Staatsanwaltschaft auf Anfrage. «Beobachtungen von illegalen Aktivitäten jeglicher Art sind grundsätzlich der Polizei zu melden.»

Die Liegenschaftsbesitzerin des «Wilden Mann», die Helvetia Versicherungen, geben keine Auskunft zu einzelnen Mietverhältnissen – man achte aber bei der Auswahl der Mieterinnen und Mieter darauf, dass diese keinen diskriminierenden Tätigkeiten nachgehen.

Der Stadtpräsident ist nicht begeistert

Das offizielle Aarau wusste laut Stadtpräsident Hanspeter Hilfiker nichts von den Anlässen in der Vorderen Vorstadt. Begeistert ist Hilfiker nicht: «Die Stadt Aarau bietet keine Plattform für Reichsbürger oder andere Staatskritiker», sagt er. Schon 2018, als der Islamische Zentralrat in Aarau einen Raclette-Plausch abhielt, hatte sich die Stadtregierung auf einen politischen Vorstoss hin kritisch geäussert: «Der Stadtrat ist der Ansicht, dass solche Gruppierungen in Aarau keine Plattform für ihre Auftritte finden sollen.»

«Der Erschaffer» ist mittlerweile nicht mehr im «Wilden Mann» tätig. Auf Telegram schrieb er im Februar: «Wir sind aus dem Zug Begegnungszentrum Aarau ausgestiegen, da uns die Fahrtrichtung nicht mehr gefallen hat. Es hat ein anderer den Kapitänsstuhl übernommen, der in eine andere Richtung fährt als geplant.» Eine Anfrage der AZ liess der Mann, der nun in Hölstein BL wirkt, unbeantwortet. In den Aarauer Räumlichkeiten befindet sich nun eine Praxis für verschiedenste Therapien aus dem alternativmedizinischen Bereich.

Schreiben Sie einen Kommentar