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«Das wäre der Kriegseintritt der Nato»: Was für und gegen die geforderte Flugverbotszone über der Ukraine spricht

Es ist die Hauptforderung des ukrainischen Präsidenten Selenski an den Westen: Die Errichtung einer Flugverbotszone, um die Menschen vor den russischen Bomben zu schützen. Doch die Nato winkt ab. Wie gefährlich wäre eine solche Zone wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Was ist eine Flugverbotszone und wer könnte sie einrichten?
Eine Flugverbotszone – englisch «no-fly zone» – ist das, wonach es klingt: Die Sperrung des Luftraums. Über einem bestimmten Gebiet dürfen keine Flugzeuge unterwegs sein. Würde man sie über der Ukraine verhängen, hätte sie sofort eine politische Komponente. Sie wäre gegen einen Aggressor gerichtet – in dem Fall: Russland. Verhängen könnte sie die Nato. Dafür müsste sie alle militärischen Überflüge der russischen Armee stoppen.

2. Wie würde sie durchgesetzt?
Die Nato müsste Kontrollflüge durchführen – wie die Polizei, die Streife fährt. Damit ihre eigenen Flugzeuge nicht gefährdet sind, müsste sie zunächst Luftüberlegenheit herstellen. Das bedeutet: Russische Radarstationen, Flughäfen und Flugabwehrsysteme ausschalten. Russische Jets, die in den gesperrten Luftraum eindringen, würden gewarnt – und schliesslich abgeschossen. Eine Flugverbotszone ist letzten Endes ein aggressives militärisches Eingreifen. «Das wäre der Kriegseintritt der Nato», sagt Gustav Meibauer, der an der Radboud Universität im holländischen Nijmegen zu militärischen Interventionen forscht.

3. Wer fordert die No-fly-zone?
Präsident Wolodimir Selenski fordert die Nato immer eindringlicher auf, «den Himmel über der Ukraine zu schliessen». Die russischen Luftangriffe forderten täglich zivile Opfer. Auch aus der ukrainischen Zivilgesellschaft kommen immer wieder ähnliche Forderungen. Am vergangenen Freitag hatte die Nato beschlossen, kein Flugverbot zu verhängen. Selenski sagte daraufhin: «Alle Menschen, die von diesem Tag an sterben, werden auch wegen euch sterben.»

4. Warum will die Nato nicht?
Weil Russland Atomwaffen hat. «Die Nato will keinen Krieg mit Russland», sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag. «Wir sind nicht Teil der militärischen Auseinandersetzung […] und werden es auch nicht werden», so der deutsche Kanzler Olaf Scholz.

5. Was sagt Putin?
Der russische Präsident hat die Nato-Länder deutlich vor der Einrichtung einer Flugverbotszone gewarnt: «Jede Bewegung in diese Richtung wird von uns als Beteiligung des jeweiligen Landes an dem bewaffneten Konflikt betrachtet», so der Kremlchef. In sein Bedrohungsszenario hat Putin bewusst sein nukleares Arsenal miteinbezogen, indem er die entsprechenden Einheiten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte.

6. Würde die Einrichtung der No-fly-zone zum Atomkrieg führen?
«Es gibt da schon noch ein paar Schritte dazwischen», sagt Politologe Gustav Meibauer. Würde die Nato einen russischen Jet über der Ukraine abschiessen, führte das noch nicht direkt zum Atomschlag der Russen. Aber für Meibauer ist klar: «Eine Flugverbotszone birgt das Risiko einer nuklearen Eskalation.» Er hält sie daher für «ausgeschlossen». Der deutsche Diplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sieht das ähnlich. Auf Twitter kommentierte er: «Grosse Risiken mit unkalkulierbaren Folgen. Schreckliche Vorstellung. Lasst uns nicht einmal darüber nachdenken.»

7. Gibt es Alternativen?
Die Einrichtung einer Flugverbotszone geht für Meibauer einen Schritt zu weit. «Das wissen auch diejenigen, die sie fordern», sagt er. Unterhalb der Schwelle der militärischen Eskalation seien allerdings nicht alle Mittel ausgeschöpft – etwa bei den Wirtschaftssanktionen. Auch könnte die Nato weitere Truppen in die osteuropäischen Mitgliedsländer verschieben. Als Reaktion müssten die Russen eigene Truppen zurückhalten, die dann nicht für einen Einsatz in der Ukraine zur Verfügung stünden.

Der Druck auf die Entscheidungsträger dürfte allerdings grösser werden, je brutaler Putins Armee vorgeht. Als der libysche Diktator Gaddafi 2011 die Stadt Benghazi attackierte und der öffentliche Druck stieg, griffen die Alliierten unter Führung der USA ein – unter anderem mit einer Flugverbotszone. Der grosse Unterschied zur aktuellen Situation in der Ukraine: «Libyen hatte keine effektive Luftwaffe, kaum Flugabwehr und insbesondere keine Atomwaffen», sagt Meibauer. Deshalb würde die Nato auch bei einer grossen Zahl an zivilen Opfern nicht eingreifen. Diese Kalkulation, so der Politologe, ändere sich, wenn Russland ein Nato-Land angreift.

8. Und Donald Trumps Vorschlag, geheime Luftangriffe auf Russland zu fliegen?
Zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine war der ehemalige US-Präsident noch auf Seiten Putins. Als «genial», «smart» und «ausgebufft» bezeichnete Trump den Kremlchef. Nun legte er eine Kehrtwende hin.

Vor Parteifreunden forderte Trump: die USA sollten mit direkten Luftangriffen auf Russland beginnen. «Bomb the shit out of russia», so der ehemalige Oberbefehlshaber der mächtigsten Armee der Welt. Sein Trick: Die F-22 Kampfjets der US-Luftwaffe mit chinesischen Flaggen zu übermalen. «Wir sagen einfach, China war es.»

So verrückt die Idee klingt – Militärstrategen beschäftigen sich tatsächlich mit Möglichkeiten, wie die Nato eingreifen könnte, ohne formell beteiligt zu sein. Etwa Jets von polnischen Militärbasen aus unter ukrainischer Flagge fliegen zu lassen. Militärexperte Meibauer hält aber auch das für unwahrscheinlich. «Es dauert zu lange und ist logistisch sehr schwierig», sagt er. Ausserdem sei alles andere als sicher, dass Russland das nicht als direkte Intervention der Nato ansehen und Vergeltungsmassnahmen einleiten würde.

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