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Giuseppe Gracia im ZT-Talk: «Das Misstrauen gegen die Selbstverantwortung ist fatal»

In seinem neuen Buch «Die Utopia-Methode» macht sich der streitbare Schriftsteller und Publizist für mehr Mut zur Freiheit stark.

Bis vor einem Jahr hat Giuseppe Gracia (53) regelmässig als Sprecher des Churer Bischofs Schlagzeilen gemacht. Inzwischen arbeitet er als Medienberater, Schriftsteller und Publizist. Anfang April erschien sein zwölftes Buch: «Die Utopia-Methode. Der neue Kulturkampf gegen Freiheit und Christentum.» Durch die aktuellen Debatten – Klimaschutz, Sexismus oder Rassismus beispielsweise – ziehe sich ein roter Faden: En voque sei eine tiefe Ablehnung gegenüber den jüdisch-christlichen Wuzeln der westlichen Zivilisation und ihrer liberalen Gesellschaftsordnung. Das Prinzip dahinter sei eine Utopie: eine schöne neue Welt ohne Unrecht, ein neuer, «moralisch und klimatisch gesäuberter Mensch». Gracia war diese Woche Gast im ZT-Talk.

Das Modell «Utopia» erklärt er so: «Stellen Sie sich vor, Sie vergleichen Ihre Familie mit einer Traum-Familie, mit einer Familie aus dem Bilderbuch. Alle sind perfekt, sehen schön aus, sind immer nett und selbstlos.» Wer einen solchen Vergleich jeden Tag anstelle, werde enttäuscht. «Reale Menschen können mit einer Traum-Welt nicht mithalten.» – «Die Utopia-Methode macht genau das mit der gesamten Gesellschaft – und mit allen Themen: mit dem Klima, dem Kapitalismus, dem Rassismus. Die Kontrastfolie zu unserem realen Westen ist immer Utopia, eine Super-Gesellschaft, in der alle gerecht sind. Dann sehen wir alle alt aus, unser Westen wird eine fürchterliche Kultur.» Besser wäre, unsere Realität mit anderen Realitäten zu vergleichen: mit China, dem arabischen Raum oder Afrika. «Dann würden wir gar nicht so schlecht aussehen.» In der Utopia-Methode werde der Westen aber verglichen mit einem «genialen, utopischen Modell, das es nie gegeben hat». Das mache viele Leute unzufrieden. «Manchmal kommt es mir vor wie Selbsthass.»

Auch die grassierende Selbstoptimierung sieht Gracia auf dieser Folie. Der Mensch sei inzwischen zur «Leistungsmaschine geworden, die sich ständig updaten muss». «Man lernt sogar, effizient mit seiner Krise umzugehen. Man muss sogar effizient schlafen – das ist absurd. Aber das passt zum utopischen Modell der Wunschmenschheit: Alles muss perfekt sein.»

Gleichzeit sieht er ein grosses Misstrauen gegen die Selbstverantwortung am Werk. Er könne dieses Misstrauen zwar verstehen. «Ich sehe, dass Leute unverantwortlich mit dem Auto unterwegs sind. Dass sie ihren Müll wegschmeissen, wo sie gerade sind. Aber ich komme doch nicht auf die Idee, das System so zu ändern, dass der Staat am Schluss alles managt. Ich glaube nicht, dass das ein gutes Modell ist.» In nicht-westlichen Ländern habe der Staat überall mehr zu sagen. «Dort geht es den Menschen schlechter. Das müsste für uns ein Warnsignal sein, dass dies der falsche Weg ist.»

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