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«Ich freue mich wie ein kleines Kind»: Der blaue WSB-Salonwagen ist zurück auf den Schienen

Zaghaft lässt sich Beat Suter auf das Leder sinken, umfasst die Steuerung, blickt sich im Führerstand um. Alles ist wie immer, all die Knöpfe und Regler, die Garderobe, die Hutablage. Sogar der Sitzplatz nebenan, der beliebteste überhaupt, besonders bei jungen Frauen, da half auch das über der Scheibe angeschraubte Schild nicht immer: «Sprechen mit dem Wagenführer verboten». Und obwohl es kalt ist, blickdick verkrusten Eis und Dreck die Scheiben, ist es Beat Suter warm, vor allem ums Herz. Jahrzehnte ist es her, seit er letztmals in diesem Führerstand gesessen hat. «Ein schöner Moment», sagt er und nickt. «Ich freue mich wie ein kleines Kind.»

Beat Suter, Ehemaliger Wagonführer bei der WSB.
Beat Suter, Ehemaliger Wagonführer bei der WSB. Bilder: Valentin Hehli / ARG

Ein doppelt schöner sogar: Am Donnerstagmittag wurde der blaue Salonwagen von 1901, das älteste noch vorhandene Originalfahrzeug der ehemaligen Wynental- und Suhrentalbahn AG, von Reinach zurück in die Werkstatt der Aargau Verkehr AG nach Schöftland gebracht. Hier soll der 2012 vor der Verschrottung gerettete Triebwagen unter der Federführung des Vereins «Pro Salonwagen WSB» in den kommenden knapp zwei Jahren wieder instand gestellt werden.

Knapp zehn Jahre lang hat der Salonwagen nun bei der Familie Bertschi vor dem Recyclingparadies im Reinacher Moos gestanden. Angeliefert zur Verschrottung, hatte es die Familie nicht übers Herz gebracht. «Unsere Mutter hat das Veto eingelegt», sagt Karin Bertschi, «schliesslich haben unsere Eltern in diesem Wagen ihren Hochzeitsapéro gefeiert.» Und was würde das für ein schlechtes Omen sein, wenn sie nun ausgerechnet diesen Wagen zerlegen würde, man mag es sich gar nicht ausmalen.

An zwei unterlegen Stahlträgern wird der Wagen angehoben.
Ob der Wagen das Heben aushält?

Vor dem Hochheben wird es den einen bitz flau

Und nun also zieht der Salonwagen wieder weiter, wer hätte das gedacht, «nach Hause», wie René Fasel, Leiter Bahnproduktion Aargau Verkehr AG (AVA) und Vizepräsident des Vereins es nennt. Nicht auf Schienen, sondern auf Rädern. Zwei Kranen braucht es, um den 39 Tonnen schweren Triebwagen auf einen Spezialsattelzug-LKW zu heben. Dazu müssen Stahlträger unter den Wagen gelegt werden, unter die Drehgestelle, und da wird es den ersten in den Zuschauerreihen bitz flau in der Magengrube. Ob der Wagen das Hochheben erträgt? Keiner weiss schliesslich, was Wind und Wetter mit dem alten Kerl angestellt haben. Aber es geht gut, natürlich. Um 12.07 Uhr verlässt der Salonwagen Reinach. Es geht heimwärts.

René Fasel, Leiter Bahnproduktion AVA
René Fasel, Leiter Bahnproduktion AVAValentin Hehli / ARG

Die automatische Tür war den Wynentalern suspekt

«Nach Hause» ist im Falle des Salonwagens durchaus ernst gemeint. 1901 wurde er bei der Schweizerischen Wagonsfabrik in Schlieren für die Aarau-Schöftland-Bahn gebaut, die am 19. November 1901 den Betrieb aufnahm. Die Wynentalbahn fuhr 1904 erstmals, verbunden wurden die Bahnstrecken erst 1967. Bis dato war der Wagen nur im Suhrental unterwegs gewesen.WERBUNG

Und da fängt es mit den Anekdoten an: Seit einem Totalumbau 1952 – der war nötig wegen einer Kollision mit einem Güterzug in Hirschthal 1950 – verfügte der Wagen über automatische Schiebetüren. «Eine hochmoderne Sache», erinnert sich Wagenführer Suter, der als knapp Zwanzigjähriger Anfang der Siebzigerjahre den Triebwagen fuhr, damals, als ein Billett Gränichen-Aarau-retour noch 2 Franken kostete, im Bahnhof Zetzwil morgens erst Feuerholz gespalten werden musste und die Bahn morgens und abends noch bei der «Gais» hielt, um all die Arbeiter aussteigen zu lassen, die im Industriegebiet bei Sprecher + Schuh, Aeschbach und wie sie alle hiessen, arbeiteten – doch zurück zu den vollautomatischen Schiebetüren: «Sowas kannten die Wynentaler nicht», sagt Suter. Und weil die Wynentaler anständige Menschen waren und nach dem Einsteigen hinter sich die Tür schliessen wollten, seien sie regelmässig verzweifelt oder aus der Haut gefahren, weil sie keinen Griff fanden und die Tür keinen Wank machte. Das war der grosse Moment des Wagenführers: ein Knopfdruck, und das Erstaunen war gross. «Was haben wir gelacht über die Gesichter, die sie gezogen haben.»https://imasdk.googleapis.com/js/core/bridge3.493.0_en.html#goog_67664458

Jetzt gehört der Triebwagen wieder der AVA

Hochmodern; diese Zeiten sind in Bezug auf den Salonwagen mit seinen Holzbänken und den verblichenen Samtvorhängen – im einen Führerstand besteht der Boden sogar noch aus Holzbrettern – längst vorbei. Aber man erkennt problemlos, was hier nach der Instandstellung wieder möglich sein könnte. Für Charter- und Eventfahrten solle der Wagen eingesetzt werden können, sagt Andreas Peer, Präsident des Vereins, «aber auch für öffentliche Fahrten, das schulden wir der Bevölkerung.»

Andreas Peer, Präsident Verein Pro Salonwagen WSB
Andreas Peer, Präsident Verein Pro Salonwagen WSBValentin Hehli / ARG

Schliesslich stammen 270000 der vom Verein gesammelten 870000 Franken aus dem kantonalen Swisslos-Fonds. Dinnieren wird man im Wagen nicht können; die Bänke stehen so eng und die Tische wären so schmal, da würden keine Teller draufpassen. Aber für einen Apéro reicht der Platz allemal. Und die Lackierung? Da soll der Wagen wieder wie vor dem Umbau 1982 daherkommen: unten blau, oben weiss, getrennt durch einen schwarzen Strich, das Dach silbern.WERBUNG

«Ein bewegender Moment, im wahrsten Sinne des Wortes», sagt René Fasel zu dem neben ihm. Es ist 13.14 Uhr, der Salonwagen wird in Schöftland an einer Seilwinde vom LKW zurück auf die Schienen gelassen. Es stockt erst, dann kommt er doch, verhockt ist das Zeug nach all den Jahren, Handbremse wie Räder, wen wunderts. Aber dann kommt der Salonwagen zurück auf die Schienen. «Er rollt!», ruft einer, «und wie schön er rollt», ja, ganz schön rollt er, echot ein anderer. Es ist geschafft. Der Salonwagen ist daheim, er gehört wieder der AVA. Die Arbeit kann beginnen.

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