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Paul Ehinger: Zeitlebens seinem politischen Gewissen verpflichtet

Der frühere ZT-Chefredaktor und Historiker Paul Ehinger ist tot. Er konnte austeilen – aber auch Kritik einstecken.

Paul Heinrich Ehinger-Hagmann – Chefredaktor des Zofinger Tagblatts von 1988 bis 2003 – ist im Alter von 83 Jahren verstorben. «Vita nostra brevis est, brevi finietur» stand einer Lebensdevise gleich über der Todesanzeige. Die Worte stammen aus dem Studentenlied «Gaudeamus igitur» (lasst uns fröhlich sein). Das Zitat in voller Länge der Strophe übersetzt: «Kurz ist unsre Lebenszeit. Sie vergeht geschwinde. Unter Sorgen, Müh und Streit. Wie der Rauch vom Winde». Ja, Paul Ehinger war ein Streitbarer – und ein Mann, der zeitlebens dem Studentischen verbunden war.

Sein Leben lang suchte er den Disput

Ehinger kam 1939 in Malmö zur Welt, wo sein Vater für die Schweizer Maschinenindustrie arbeitete. Nach dem Krieg lebten die Ehingers in Peru und Paul besuchte später das Lehrerseminar Rorschach – wo er Mitglied der Mittelschülerverbindung Fides war. Danach arbeitete er drei Jahre lang als Lehrer und studierte ab 1963 Geschichte und Soziologie an der Universität Zürich. Während seines Studiums wurde er Mitglied der Zofingia. 1970 promovierte Paul Ehinger mit einer Dissertation über den frühen Liberalismus im Kanton St. Gallen. Als Doktor angesprochen zu werden, darauf legte er Wert – wie er aber auch rasch mit jeder Frau und jedem Mann per Du war. In den 70er-Jahren arbeitete er auf dem Generalsekretariat der FDP Schweiz. «Meine linksliberale Phase», wie er später einmal sagte.

Seine Meinung sagen – bewusst anecken, den Disput suchen, das war Paul Ehinger gegeben, der ab 1977 beim «Werdenberger & Toggenburger» als Journalist tätig wurde. Es folgten die «Berner Zeitung», die «Basler Zeitung» und die «Schweizerische politische Korrespondenz» (SPK) – eine Nachrichtenagentur. Diese wurde weitgehend durch die «Gesellschaft zur Förderung der Schweizerischen Wirtschaft» (heute Economiesuisse) finanziert. 1988 dann die Wahl (so Ehinger) zum Chefredaktor des Zofinger Tagblatts – und damit in die Bundesstadt der Zofingia.

Verharren wir kurz beim grossen Interesse und Engagement Ehingers für Studentisches. Wecker, wie sein Cerevis lautete, gehörte als Historiker zu den bedeutenden Autoren zur Geschichte und zum Brauchtum der Burschenschaften europaweit. 1984 war Ehinger Initiant und Mitgründer der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte, die er von 1986 bis 1994 präsidierte. Die Zofingia zeichneten in für seine Verdienste mit dem «ruban d’honneur» aus.

Er kommentierte prägnant – und erntete dafür Kritik

Zum Studentsein gehört auch das Fechten. Neun Jahre lang stand er der Fechtgesellschaft Zofingen vor. Und bei der Stadtkompanie Zofingen führte er die Chronik, wie er auch Schriftleiter der Neujahrsblätter war. In deren Ausgabe von 2008 findet sich ein aus aktueller Warte sehr interessantes historisches Essay von Ehinger: «Als in Zofingen das Kochgas fast ausging» – Grund war allerdings der Start eines Gasballons.

Chefredaktor des Zofinger Tagblatts wurde Paul Ehinger in einer Zeit, in welcher es im Aargau noch fünf eigenständige Tageszeitungen gab, welche sich überwiegend Parteien verpflichtet fühlten – von der SP über die CVP bis hin zu einem liberalen und einem eher radikalen Freisinn, in dessen Tradition das Zofinger Tagblatt stand. Ein Beispiel, wie Journalismus damals gelebt wurde: Der stellvertretende Chefredaktor einer damaligen Tageszeitung war Parteigänger der FDP und Mitglied des Grossen Rates – seine Kommentare zu den parlamentarischen Debatten schrieb er als Teilnehmer und aus geschärft freisinniger Sicht. Auf Argumente politisch Andersdenkender ging man damals mit Häme ein – was auch für die Blätter der politischen Konkurrenz galt.

Vor diesem Hintergrund muss man die Kritik sehen, welcher Ehinger mit seinen sich an bürgerlichen Werten orientierenden Kommentierungen ausgesetzt war – eine Kritik, die er irgendwie auch gesucht zu haben scheint. Bissig war beispielsweise der Sekretär einer links-grünen Gruppierung , welcher Ehinger öffentlich als «politisch-journalistisches Fossil» bezeichnete – und gleichzeitig mit dem ZT eng verbunden war. Ehinger hat das akzeptiert, weil er auch andere Stimmen im Blatt wollte.

Der Kritik von links folgte jeweils auf dem Fuss die Unterstützung von rechts. SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner sagte damals: «Das Zofinger Tagblatt ist meine Lieblingszeitung, und Paul Ehinger ein Star-Redaktor.»

Publizistisch präsent auch nach der Pensionierung

Nach seiner Pensionierung schrieb Ehinger für Vereine wie «Pro Libertate» und «Gesellschaft und Kirche wohin?». Daneben hatte er eine Kolumne im Mitteilungsblatt des Aargauischen Gewerbeverbandes und war auch im «SVP-Klartext» vertreten – so 2007. Da äusserte er sich zum Wandel von den Parteizeitungen hin zu den «sogenannt unabhängigen Presseprodukten». Ehinger: «Irgendwie war der Wandel von der Parteizeitung zur Forumszeitung eine logische Folge des sozioökonomischen Wandels. Und dieser zeichnete sich durch eine Entpolitisierung der Gesellschaft aus».  Hier schliesst sich der Kreis mit einer anderen Zeile aus «Gaudeamus igitur», die im Kern für das politische Verständnis von Paul Ehinger steht:  «Vivat et res publica, et qui illam regit!». Unser Staat soll leben und der, der ihn regiert – und das ist (so geht das Lied weiter) die Bürgerschaft.

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