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Sozialhilfeschulden mit Altersguthaben zurückzahlen? Regierung will Aargauer Sonderregel abschaffen – Gemeinden wehren sich

Die Rückzahlung von Sozialhilfeschulden mit Altersguthaben darf nur im Aargau verlangt werden. Der Regierungsrat will das Gesetz anpassen, doch die Gemeindeammänner wollen diese Möglichkeit weiter nutzen. Ihr Präsident nennt Beispiele.

Sozialhilfebezüger, welche bald das Pensionsalter erreichen, können in mehreren Aargauer Gemeinden dazu verpflichtet werden, einen Teil ihrer Schulden mit Pensionskassengeldern zurückzuzahlen. Das ist in der Schweiz einzigartig und, spätestens seit die SRF-Sendung «Kassensturz» Ende 2020 darüber berichtet hat, auch umstritten.

Das Bundesgericht hat im Dezember diese Praxis zwar grundsätzlich als zulässig bestätigt. Doch der Regierungsrat hat bis am 31. Januar bei den Gemeinden eine freiwillige Anhörung zur Sozialhilfe- und Präventionsverordnung durchgeführt. Und dort ist die Rückzahlungspflicht von Sozialhilfe mit Pensionskassengeldern ein Punkt.

Die Rückerstattung aus Mitteln der gebundenen Vorsorge soll unzulässig sein, die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) sollen dafür übernommen werden.

Der Status quo.

Die Sozialhilfe soll zwar mit Pensionskassengeldern zurückerstattet werden können, jedoch nur unter Voraussetzungen.

Der Regierungsrat favorisiert Variante 1, er will die Aargauer Praxis abschaffen.

Gemeindeammänner wollen Status quo

Allerdings sehen das die Aargauer Gemeindeammänner anders. Die Gemeindeammänner-Vereinigung (GAV) möchte beim Status quo bleiben, wie ihre Antwort in der Vernehmlassung zeigt. Zwar will die Vereinigung die Richtlinien der Skos grundsätzlich übernehmen, bei den Bestimmungen zur Rückerstattungspflicht von Sozialhilfe weicht sie aber von diesen Linien ab und möchte die jetzigen beibehalten. Etwa die Vermögensfreibeträge, Fristen und Höhe der Rückzahlung. Und bei der Möglichkeit, dass Gemeinden auch Pensionskassengelder dafür verlangen können.

Patrick Gosteli, Präsident Gemeindeammänner-Vereinigung, Grossrat SVP.

«Gemeinden sollen grundsätzlich selber entscheiden, ob sie diese Praxis anwenden oder nicht», sagt Patrick Gosteli, Präsident der Gemeindeammänner-Vereinigung auf Anfrage. Der Vorstand sei «relativ einstimmig» dafür gewesen, dass die jetzigen Regeln im Aargau weiterhin gelten sollen. Jedoch seien dabei die vom Bundesgericht festgehaltenen Einschränkungen zu beachten, Altersguthaben dürfen nur beschränkt pfändbar sein. «Unter diesen Voraussetzungen macht es Sinn, den Gemeinden diese Möglichkeit zu geben», sagt Gosteli.

Guthaben beziehen und es verbrauchen

Er nennt ein Beispiel aus der Praxis: Jemand, der Sozialhilfe bezieht, lässt sich sein Altersguthaben ausbezahlen, braucht es im Ausland auf, kommt dann zurück in die Gemeinde und wird wieder von der Sozialhilfe abhängig. «In Ausnahmefällen brauchen die Gemeinden ein Instrument, das ihnen einen Teil der Guthaben zur Schuldentilgung zugesteht», so Gosteli.

Damit es so weit komme, sei indes bereits jetzt das Einverständnis des Schuldners oder der Schuldnerin nötig. «Solche Vereinbarungen müssen weiterhin möglich bleiben», findet der Gemeindeammann von Böttstein. Eine Bevormundung der Gemeinden sei hier nicht angebracht.

40’000 Franken zurückbezahlen

Der «Kassensturz» hatte im November 2020 über eine Frau berichtet, die 40 Jahre als Sekretärin tätig war. Sie verlor ihren Job und kam mit knapp 60 Jahren in ihrer Wohngemeinde in die Sozialhilfe. Bei der Gemeinde hat man ihr vorgeschlagen, sich von der Sozialhilfe zu lösen und mit Hilfe ihres ausbezahlten Vorsorgeguthabens in Pension zu gehen. Zudem müsse sie 50 Prozent der Sozialhilfe zurückzahlen – 40’000 Franken, was die Hälfte ihres Guthabens war.

Von einer weiteren Sozialhilfebezügerin wurde verlangt, dass sie ihr gesamtes Guthaben von 180’000 Franken überweist, um ihre Sozialhilfe an die Gemeinde zurückzubezahlen. Dabei hatte sie nicht einmal so viel bezogen.

Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) hatte im Namen einer dritten Person gegen die Aargauer Praxis Beschwerde eingereicht und den Fall ans Bundesgericht weitergezogen, als das Aargauer Verwaltungsgericht im Mai letzten Jahres seine Rechtsprechung bestätigte.

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