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Bund bestätigt: Tiefenlager kommt in Nördlich-Lägern ++ Verpackt wird Atommüll in Würenlingen ++ Betroffene reagieren schockiert

Das Schweizer Tiefenlager für Atommüll soll im Gebiet Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel gebaut werden. Verpackt werden soll der Atommüll in Würenlingen im Aargau. Nach Spekulationen hat der Bund betroffene Kantone und Grundbesitzer am Samstag informiert.

Die Würfel waren längst gefallen. Doch informiert werden sollte die Öffentlichkeit erst am Montagmorgen. Nachdem verschiedene Medien nach der Vorinformation der Kantone und Grundeigentümer am Samstag jedoch über die Entscheide berichteten, passten der Bund und die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) kurzerhand ihre Kommunikationsstrategie an. Gegenüber CH Media bestätigte Marianne Zünd am Nachmittag die Standortwahl Nördlich Lägern für ein Tiefenlager.

Und der Atommüll dafür solle dereinst in Würenlingen verpackt werden, sagte Zünd in dem Gespräch weiter. Für alle weiteren Details verwies die Kommunikationschefin des Bundesamts für Energie jedoch auf Montag.

Nagra: «Eindeutiger Entscheid»

Kurz darauf informierte dann auch die Nagra knapp über die Hintergründe der Standortwahl. «Die Geologie hat einen eindeutigen Entscheid ermöglicht», heisst es in einer Mitteilung. Und die Nagra zieht aus den jahrelangen Abklärungen folgendes Fazit:

Nördlich Lägern ist der Standort mit den grössten Sicherheitsreserven.

Basierend auf dem Evaluationsergebnis will die Nagra bis in zwei Jahren das Rahmenbewilligungsgesuch für ein Tiefenlager ausarbeiten. Dann soll dieses beim Bund eingereicht werden.


Nach dem Bewilligungsprozess – und wohl nach einer Volksabstimmung – soll das Schweizer Tiefenlager für stark und schwach radioaktive Abfälle dann in – respektive unter – der knapp 2000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Zürcher Gemeinde Stadel gebaut werden. Das Gebiet Nördlich Lägern beinhaltet insgesamt jedoch zwölf Gemeinden im Kanton Zürich sowie drei weitere Gemeinden im Kanton Aargau. Zudem grenzt es im Norden an deutsches Gebiet.

Aufatmen können damit die Gemeinden im Zürcher Weinland (die sogenannte Nagra-Region Zürich Nord-Ost) sowie die Gemeinden rund um den Bözberg im Kanton Aargau (sogenanntes Nagra-Projekt Jura Ost).

Würenlingen bleibt wichtiger Standort

Mit der Verpackungsanlage für Atommüll wird der Aargau in Zukunft jedoch gleich doppelt vom Schweizer Tiefenlager für Atommüll betroffen sein. Doch bereits jetzt werden in Würenlingen neben dem Paul Scherrer Institut radioaktive Abfälle aller Art bearbeitet, verpackt und schliesslich zwischengelagert.

Zuerst über die Standortwahl übereinstimmend berichtet hatten am Samstag der Fernsehsender TeleZüri und die Tamedia-Zeitungen. Während der Entscheid für den Standort der künftigen Verpackungsanlage für Atommüll im Aargau weniger überraschend kommt, löst der bereits zuvor bekanntgewordene Tiefenlager-Entscheid bei Politikerinnen und Experten seit Tagen einiges Erstaunen aus.

Erst recht auf Unverständnis stösst der Entscheid beim Verein Nördlich Lägern ohne Tiefenlager (LoTi). Dieser schreibt denn auch am Samstag erstaunt in einer Mitteilung:

Die Nagra möchte für den Standort, den sie vor wenigen Jahren noch ausrangieren wollte, das Rahmenbewilligungsgesuch ausarbeiten und einreichen.

Laut LoTi ist das eine «fachlich-geologisch wie politisch irritierende Entwicklung» in der nunmehr 15 Jahre dauernden Standortsuche. Aus diesem Grund stellen die Tiefenlager-Gegner denn auch ähnlich lautende Forderungen an die Transparenz des Auswahlverfahrens und die weiteren Abklärungen wie die Zürcher SP, die Grünen und teilweise sogar die SVP (siehe Kasten unten).

Parteien zeigen Verständnis und äussern Forderungen

Die Standortwahl des Bundes für den Bau eines Tiefenlagers in der Zürcher Gemeinde Stadel lässt kaum jemanden kalt. In einer ersten Reaktion begrüsst die SVP des Kantons Zürich zwar den Entscheid. Gleichzeitig fordert die Partei am Samstag in einer Mitteilung aber auch «vollständige» Transparenz darüber, wie dieser zustande kam. Und die Eigentumsrechte der Bürgerinnen und Bürger sowie die Gemeindeautonomie bei raumplanerischen Fragen seien in dem Verfahren zu wahren.

Und noch eine Forderung hat die Volkspartei: Um die Wertschöpfung im Kanton Zürich zu behalten, müssten für Planung und Bau «grundsätzlich einheimische Unternehmen berücksichtigt werden», schreibt die SVP.

Der Zürcher SP hat es beim Projekt Nördlich Lägern dagegen noch «zu viele Fragen offen», als dass sie sich bereits jetzt dahinter stellen könne. Wie sie in einer Mitteilung betont, stehe sie aber «weiterhin hinter dem Grundsatzentscheid», dass der Schweizer Atommüll auch hierzulande entsorgt werden solle.

Namentlich fordern die Genossen, dass der Schutz des Tiefengrundwassers oder mögliche Erdgasvorkommen, die den Bau eines Tiefenlagers in Frage stellen könnten, durch unabhängige Untersuchungen abgeklärt werden. Und auch die Rückholbarkeit des verpackten Atommülls müsse sichergestellt werden. Es gehe nicht an, wie dies die Nagra bislang vorsehe, das Tiefenlager einfach nicht zu verschliessen.

In dieselbe Kerbe hauen auch die Grünen. Sie pochen ebenfalls auf die «garantierte Rückholbarkeit des Atommülls» sowie eine unabhängige Untersuchung des Standort-Entscheids durch internationale Experten. Dies mit Verweis auf die «immer noch problematische» Abhängigkeit der Nagra von den AKW-Betreibern und da sie der Atomaufsicht Ensi misstrauten. (sat)

Gegenüber TeleZüri äussern sich Gegner des Tiefenlagers in Nördlich Lägern am Samstag schockiert über die Standortwahl. Die Rede ist von einem «No-Go» respektive einer «unvorstellbaren Kehrtwende» der Nagra in der Projektauswahl. Waren doch bislang die meisten Involvierten davon ausgegangen, das Tiefenlager solle im Zürcher Weinland gebaut werden.

Diese Region galt nämlich seit Jahren als Favorit der Nagra. Anders Nördlich Lägern: Die Gemeinde Stadel war von den Experten für die Suche nach einem Tiefenlager-Standort in einer früheren Runde bereits einmal ausgeschieden worden. Erst auf Druck der betroffenen Kantone wurden die Abklärungen dann nochmals aufgenommen. Und nun soll Nördlich Lägern gar der geeignetste Standort der Schweiz für ein Tiefenlager sein.

Inbetriebnahme frühestens ab dem Jahr 2050

Die Suche nach einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle ist allerdings bereits ein Jahrzehntealter Prozess. Seit 2008 ist das aktuelle Verfahren im Gang. Zuletzt standen noch drei Regionen im Fokus – und zwar im Zürcher Weinland (Zürich Nord-Ost), im Zürcher Unterland (Nördlich Lägern) sowie im Bözberg (Jura Ost). Im Jahr 2024 will die Nagra bei den Bundesbehörden ihr Rahmenbewilligungsgesuch für ein Tiefenlager einreichen. Danach wird der Bundesrat voraussichtlich 2029 darüber entscheiden, ein Jahr später das Parlament.

Zudem ist eine Volksabstimmung über die Standortwahl sehr wahrscheinlich. Diese untersteht nämlich dem fakultativen Referendum. Selbst wenn alles glattgehen sollte: Mit der Inbetriebnahme des Schweizer Tiefenlagers ist frühestens ab dem Jahr 2050 zu rechnen. Der Verschluss des auf Jahrhunderte ausgelegten Gesamtlagers soll dann im Jahr 2115 erfolgen.

Mehr als 50-jährige Suche – für maximal 100 Jahre Lagerung

Allerdings ist auch die Vorgeschichte für ein Tiefenlager in der Schweiz eine äusserst langwierige. Bereits vor 50 Jahren, als die ersten Atomkraftwerke ihren Betrieb aufnahmen, hat der Bund die Suche danach eröffnet. Standen zunächst Standorte in den Alpen im Vordergrund, rückte alsbald jedoch der Wellenberg in den Fokus. Doch die Stimmbevölkerung des Kantons Nidwalden lehnte ein Endlager gleich in zwei Volksabstimmungen ab.

2002 erbrachte die Nagra dann den sogenannten Entsorgungsnachweis: Sie wies nach, dass im Benkener Opalinus-Untergrund ein Lager für hoch radioaktiver Müll machbar ist. Doch unter der Ägide des damaligen Energieministers Moritz Leuenberger entschied der Bundesrat vier Jahre später, die Nagra müsse auch noch weitere Standorte evaluieren.

Analog diesem Schema plant die Nagra ein geologisches Tiefenlager für schwach- und mittelaktive sowie für hochaktive Abfälle in der Schweiz.
HO/Nagra

Seither sucht man auch nicht mehr den Standort für ein Endlager, sondern lediglich einen für ein Tiefenlager. Sprich: Der Atommüll soll nicht definitiv vergraben werden, sondern während 100 Jahren zurückgeholt werden können. Leuenbergers Sachplanverfahren versprach dabei nicht nur mehr Transparenz, sondern auch die Mitwirkung der betroffenen Regionen. Dies als Ausgleich zur Streichung des Vetorechts für Standortkantone.

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