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Der Prinz der neuen Volksmusik hat zwei Master-Titel und nichts mit «Hudigääggeler» zu tun

Volksmusikant Dani Häusler gilt in der Schweiz als das Mass aller Dinge. Unglaublich präzis und virtuos spielt er sein Instrument, die Klarinette. Häusler, Markus Flückiger, Noldi Alder, Töbi Tobler & Co. sind aber auch die grossen Erneuerer. Jene, die die Schweizer Volksmusik entstaubt haben. Für Mathias Landtwing war Häusler in seiner Jugend ein Idol und Vorbild. Nicht nur, weil er auch Klarinette spielt und wie Landtwing aus Unterägeri stammt. Es waren Häuslers Bands Pareglish und Hujässler, die es dem jungen Volksmusikanten angetan hatten, weil sie die stilistischen Grenzen der Volksmusik ausloteten und versetzten. «Dani ist der Grund, weshalb ich auf die Karte Musik gesetzt und Klarinette studiert habe», sagt Landtwing.

Er geht unverkrampft an Tradition und Unterhaltung

Landtwing ist mit Volks- und Blasmusik aufgewachsen. Nach abgeschlossener KV-Lehre ist er ins Konservatorium Luzern eingetreten, wo er mit zwei Master (Pädagogik und Jazz sowie das Nebenfach Komposition) abschloss. Die Volksmusikabteilung der Musikhochschule gab es damals noch nicht. Umso wichtiger war deshalb ein Abstecher an die Jazzschule Berlin, wo er bei Claudio Puntin neue Impulse aus der improvisierten Musik holte. Landtwing wurde bewusst, dass er sich von Häusler emanzipieren und eigene Wege beschreiten muss. «Ich wollte keine Kopie von Dani Häusler sein», sagt er.

Mit seinem ersten Auftritt bei SRF vor sechs Jahren löste Landtwing aber einen kleinen Shitstorm aus. Als der neue Stern am Klarinetten-Himmel für die Ländlersendung «Potzmusig» angefragt wurde, sagte er nur unter der Bedingung zu, dass er nicht nur Ländler spielen könne. Einige konservative Vertreter der Volksmusik reagierten danach mit Unverständnis (siehe Potzmusig 2015 – Mathias Landtwing Sextett – Play SRF). Dabei hat Landtwing selbst ein unverkrampftes Verhältnis zur Tradition und auch zu Unterhaltung. Von Carlo Brunner spricht er mit grossem Respekt. Volkstümlicher Schlager ist nicht sein Ding, aber gleich in zwei Formationen gelingt dem Zentralschweizer Klarinettisten der Spagat zwischen Kunst und Unterhaltung eindrücklich.

Die Ländlerkapelle Gläuffig hat er 2008 mit dem Akkordeon-Virtuosen Fränggi Gehrig, dem Pianisten Lukas V. Gernet und Pirmin Huber am Bass gegründet. Alle sind zwischen 35 und 37 Jahre alt und alle sind mit Volksmusik sozialisiert worden. Ihre Musik war denn auch zunächst der Tradition verpflichtet und wurde nur sanft erneuert. Inzwischen haben sie ihren musikalischen Horizont in alle Himmelsrichtungen erweitert. Und so tönt die neue Scheibe «Gesellenwanderung» denn auch. Gezielt wird nach neuen Ebenen gesucht. Zum Beispiel, wenn die Klarinette auch perkussiv und als Groove-Instrument eingesetzt wird. Mit «Hudigääggeler» hat das nichts mehr zu tun.

Erstmals sind alle Kompositionen von Bandmitgliedern geschrieben worden. Im Wechsel mit traditionellem Ländler hören wir Klezmer, Balkan- und Zigeunerweisen, Musette, Choro aus Brasilien und viele Jazzakkorde. Überhaupt: Die jazzmässige Improvisation ist ein zentrales Element. Das unterscheidet Landtwing auch von seinem einstigen Vorbild Häusler, der sich der Stegreiftradition der Schweizer Volksmusik verpflichtet fühlt.

Pirmin Huber und Lukas V. Gernet sind auch in der Band Helvetikuss vertreten, die Landtwing als musikalischer Leiter und Komponist für den Circus Lapsus, eine Kombination von Artistik, Comedy und Volksmusik, formieren durfte. Fränggi Gehrig war unabkömmlich, weil er die Skischule in Andermatt leitet. Dafür ist die junge Schwyzerörgelerin Kristina Brunner dabei, Mezzasopranistin und Jodlerin Simone Felber, Violinist und Dozent Andreas Gabriel sowie der gefragte und vielseitige Schlagzeuger Jwan Steiner, der auch bei der Rap-Crew GeilerAsDu und Dabu Fantastic den Takt angibt. Es ist eine neue Generation von Volksmusikanten und Volksmusikantinnen, die die Volksmusik in neue Sphären führen.

Helvetikuss ist eine musikalische Wundertüte

Die 24 Dezember-Shows in der Maag Halle Zürich waren die Feuertaufe. «Für mich war das ein Meilenstein», sagt Landtwing, der sich vermehrt dem kompositorischen Schaffen widmet. Tatsächlich denkt er in dieser Formation musikalisch noch einmal grösser. Ländler ist dabei nur eine Möglichkeit unter vielen. Alphorn und Jodel erklingen neben einer klassisch anmutenden Version des Guggisberg-Liedes. Da wird geörgelet, gejutzt und improvisiert, gejazzt und gerockt. Selbst vor Electronica-Anleihen scheut Helvetikuss nicht zurück. Alles fliesst ineinander, alles ist möglich. Helvetikuss ist eine musikalische Wundertüte.

Komposition und Interpretation sind ambitioniert und hochstehend, wirken aber nie abgehoben. Neue Volksmusik wirkt oft etwas elitär, Landtwing hat den Stallgeruch bewahrt. «Meine Musik wird wohl immer einen volksmusikalischen Anstrich haben», sagt Landtwing. Wichtiger als die stilistische Einordnung ist ihm aber die eigene Handschrift. Mathias Landtwing hat sich definitiv von Dani Häusler emanzipiert.

Gläuffig: Gesellenwanderung. Live: 6. Februar Andermatt, 27. März Zug; 23. April Zug.

Helvetikuss (Eigenvertrieb Landtwing). Live: Stubete am See, Zürich im August. Details: mathiaslandtwing.ch/auftritte/

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