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Überalterung, Mitgliederschwund, Pandemie: Es sind schwierige Zeiten für Samaritervereine

Es sind beeindruckende Zahlen. 877 Samaritervereine sowie 129 Jugendgruppen aus insgesamt 24 Kantonalverbänden gehören – Stand 2020 – dem Schweizerischen Samariterbund an. «Samariterinnen und Samariter leisteten auch 2021 weit mehr als 100000 freiwillige Einsatzstunden», schreibt der Dachverband der Schweizer Samaritervereine mit Sitz in Olten stolz auf seiner Website. Das tönt gut. Doch in vielen Vereinen sieht die Realität weniger schön aus. «Nach 109 Jahren geht der Samariterverein in Pension», hiess es beispielsweise in der letzten Ausgabe des Murgenthaler Bulletins. Überalterung und der damit verbundene Mitgliederschwund, der Umstand, Vorstandsämter nicht mehr besetzen zu können, die Schwierigkeit, Neumitglieder zu gewinnen und die materiellen Folgen der Pandemie hätten die Vereinsmitglieder, nach sorgfältiger Prüfung von Alternativen bewogen, die Tätigkeiten auf den 31. Dezember 2021 einzustellen. Immerhin: Mit dem benachbarten Samariterverein aus Fulenbach konnte vereinbart werden, dass dieser die öffentlichen Sanitätsdienste in Murgenthal übernehmen wird.

Das Ende des Samaritervereins Murgenthal ist bei weitem kein Einzelfall. Innerhalb der letzten zehn Jahre sahen in der Region neben Murgenthal auch die Samaritervereine von Aarburg, Reiden und Olten keine Zukunft mehr. «Allein im Kanton Aargau haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren gegen fünfzig Samaritervereine aufgelöst und wir wissen, dass vier weitere bis Ende 2022 aufgeben werden», sagt Adrian Bertschi. Der 55-jährige gelernte Landschaftsgärtner, der seit rund 30 Jahren beim kantonalen Tiefbauamt angestellt und dort aktuell für die Betreuung der kantonalen Velorouten zuständig ist, ist ein engagierter und langjähriger Samariter. Und er kennt die «Samariter-Szene» aus verschiedenen Optiken. Denn Bertschi ist seit 12 Jahren Präsident des Samaritervereins Oftringen. «Wir sind mit 48 Mitgliedern einer der grösseren Vereine im Aargau», betont Bertschi und führt aus, dass auch rund 30 Mitglieder regelmässig an den monatlichen Übungen teilnehmen würden. Darunter seien auch zahlreiche jüngere Mitglieder – «aber es dürften noch mehr sein». Seit zehn Jahren ist Adrian Bertschi Vizepräsident im Kantonalverband Aargauischer Samaritervereine (KVAS). In dieser Funktion ist er mit den Sorgen und Problemen der Vereine im Kanton bestens vertraut.

Die Problematik ist vielschichtig

Wo also liegen die Gründe, dass sich immer weniger Leute im Samariterwesen engagieren wollen? «DEN einen Grund», sagt Bertschi, «gibt es nicht». Das habe auch ein im Oktober vergangenen Jahres einberufener runder Tisch gezeigt. Die Probleme, mit denen sich die Samaritervereine konfrontiert sähen, seien vielfältiger Natur. «Ein Hauptproblem ist aber mit Bestimmtheit, dass viele Samaritervereine überaltert sind und der Nachwuchs fehlt», sagt er. Was mitunter zur Folge habe, dass auch Vorstandsämter nicht mehr besetzt werden können.

Junge zu erreichen sei allgemein schwieriger geworden, betont auch Eveline Bertschi. Die 53-jährige Ehefrau von Adrian Bertschi ist seit 1999 Mitglied im Samariterverein Oftringen und seit 18 Jahren Kursleiterin. «Als Samaritervereine noch allein berechtigt waren, Nothelfer-Kurse für Neulenker anzubieten, erreichten wir die Jungen besser». Vor einigen Jahren wurde diese Praxis zum Nachteil der Samariter geändert. Fahrlehrer und andere Anbieter durften Nothelfer-Kurse ebenfalls anbieten und lockten teilweise mit Gratis-Fahrstunden für ihre Angebote. «Wenn man so hundert Franken sparen kann, macht man das auch – dafür habe ich volles Verständnis», sagt Eveline Bertschi. Das hat im Fall des Samaritervereins Oftringen wie auch weiterer Samaritervereine dazu geführt, dass sie diese Kurse gar nicht mehr anbieten würden, führt sie weiter aus.

Zertifizierung – Fluch und Segen

Eine weitere Problematik stellt für die Samaritervereine die Zertifizierung dar, welche für die Leistung von Sanitätsdiensten gefordert wird. Es sei sicher wichtig und richtig, gewisse Standards zu setzen, betont Eveline Bertschi, die als Kursleiterin im Besitz aller notwendigen Ausbildungen und Zertifikate ist. Doch es sei nicht einzusehen, wieso langjährige, erfahrene Samariterinnen und Samariter, die altershalber nicht mehr in der Lage sind, Personen zu reanimieren, weil sie nicht mehr knien können, an Grossanlässen nicht mehr für Betreuungsaufgaben eingesetzt werden können. «Blutdruck messen, Betrunkene betreuen oder ähnliche Aufgaben könnten erfahrene Samariter jederzeit auch ohne Zertifizierung erledigen», betont Eveline Bertschi, und gleichzeitig würden sie schliesslich der zertifizierten Samariterperson den Rücken für anspruchsvollere Einsätze freihalten. Bei all den Forderungen nach Professionalisierung dürfe man eines nicht vergessen: «Samariter sind und bleiben Laien-Helfer».

Mit der Zertifizierung sei überhaupt alles aufwendiger geworden. «Ich brauche viel mehr Zeit für administrative Aufgaben», beklagt Eveline Bertschi.

Auch die Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Samariterbund sei nicht wirklich konfliktfrei. Es fehle an Unterstützung für die Vereine. Adrian Bertschi stört sich Vereinspräsident und als Vizepräsident des Aargauischen Kantonalverbands insbesondere daran, dass der Samariterbund die Finanzierung einfach auf die Verbände mit ihren Vereinen abwälzen will. «Ungesund», findet er diese Entwicklung.

Regionale Zusammenarbeit als Weg in die Zukunft

Wie aber soll es nun weitergehen? Er glaube, dass die Vereine in Zukunft die Zusammenarbeit untereinander intensivieren müssten, ist sich Adrian Bertschi sicher. Ein Weg, den man auch im Bezirk Zofingen gehen könnte und müsste, meint er. «Doch das läuft zäh», bedauert er. Es gebe zwar gemeinsame und gut funktionierende Regio-Übungen – Oftringen, Rothrist und Safenwil einerseits, Zofingen, Strengelbach, Vordemwald, Brittnau und Wikon andererseits – doch eine weitergehende Zusammenarbeit im Samariterwesen innerhalb des Bezirks Zofingen finde wenig statt.

Es gebe im Kanton Aargau hervorragende Beispiele für Fusionen. So zum Beispiel im Raum Aarau, wo die sich zahlreiche Samaritervereine zu den Samaritern Aargau-West zusammenschlossen. «Doch Illusionen darf man sich nicht hingeben», betont Adrian Bertschi. «Die Fusionen der Vergangenheit haben – auch wenn sie vorbildlich bewerkstelligt wurden – eines gezeigt: Die Mitgliederzahl des fusionierten Vereins war nie grösser als die Mitgliederzahl des grössten Vereins vor der Fusion.» Die Zukunft der stillen Helfer im Hintergrund wird herausfordernd bleiben.

Trotz Corona wurde im vergangenen Jahr fleissig geübt.Bild: zvg

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