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Trotz 116-Millionen-Gewinn: «Eine massive Steuersenkung können wir uns momentan nicht leisten »

Die Staatsrechnung schliesst trotz Krieg und Krise im Plus. Trotzdem budgetiere der Aargau weiterhin so realistisch wie möglich und so vorsichtig wie nötig, sagt Finanzdirektor Markus Dieth im Interview. Daran ändere das positive Jahresergebnis nichts.

Herr Dieth, trotz Krisen wie Ukraine-Krieg, Energie-Sorgen und Corona-Nachwehen, schliesst die Aargauer Staatsrechnung mit einem Überschuss von 116 Millionen Franken, die Schulden sind getilgt. Haben Sie mit einem so guten Abschluss gerechnet?

Markus Dieth: Schon im Herbst bei der Budgetberatung hat sich ein gutes Jahresergebnis abgezeichnet. Es ist aber sicherlich erfreulich, dass der Kantonshaushalt einen so hohen Überschuss ausweisen kann, trotz der nicht budgetierten Rückstellung für den Finanzhilfebeitrag an das Kantonsspital Aarau (KSA) von 240 Millionen Franken. Mit diesem positiven Jahresergebnis festigt der Kanton seine solide Finanzlage weiter.

Dass die Kantonsfinanzen nicht krisenresistent sind, hat man Anfang der 2010er-Jahre gemerkt, da musste der Haushalt saniert werden. Warum läuft es jetzt so gut?

Seit 2017 können wir Reserven bilden, der Aargauer Finanzhaushalt steht jetzt auf einem stabilen Fundament. Die aktuell sehr tiefe Verschuldung und das Instrument der Ausgleichsreserve verleihen dem Kanton grosse finanzielle Stabilität. Ende 2023 ist der Kanton sogar schuldenfrei.

Budgetiert wurde für 2022 ein Defizit. Waren Sie zu vorsichtig?

Für mich als Finanzdirektor ist ein vorausschauendes, verantwortungsvolles und umsichtiges Finanzmanagement der Garant für einen gesunden Finanzhaushalt. Genau das hat uns auch die renommierte Rating-Agentur Standards & Poor’s im letzten Dezember attestiert, als sie das Rating des Kantons wieder auf die Höchstnote AAA erhöhte. Für die künftige Entwicklung des Ratings wird entscheidend sein, wie die Politik im Kanton Aargau auf die grossen Unsicherheiten und die sich abzeichnende anspruchsvolle Entwicklung des Umfelds reagieren wird. Wir werden also weiterhin so realistisch wie möglich und so vorsichtig wie nötig budgetieren.

Sollte man aber jetzt nicht die Steuern senken, wenn es doch so gut läuft?

Mit der letzten Steuergesetzrevision wurden sowohl die natürlichen als auch die juristischen Personen substanziell entlastet. Das ist mit ein Grund dafür, dass in der Finanzplanung für die nächsten Jahre vorsichtig noch Defizite eingeplant sind. Für die weitere Entwicklung des Kantons und der Gemeinden ist die vom Regierungsrat dem Grossen Rat unterbreitete Steuerstrategie ein zentrales Instrument. Diese verfolgt im übergeordneten Grundsatz über alle Massnahmen eine ertragsneutrale Umsetzung. Eine zu forsche Vorwärtsstrategie mit massiver Steuersenkung können wir uns momentan nicht leisten, dafür sind die Zeiten zu unsicher. Aber die positiven Auswirkungen der Senkung der Gewinnsteuersätze, wie es die Bevölkerung letztes Jahr beschlossen hat, spüren wir bereits.

Inwiefern?

Firmen interessieren sich für die Ansiedlung im Aargau, auch in Zusammenhang mit der Entwicklung im Sisslerfeld. Kombiniert mit dem Standards-&-Poor’s-Rating und den abgebauten Schulden sind wir für grössere Firmen und Neuansiedlungen attraktiver geworden. Vermehrte Neuansiedlungen im Aargau bedeuten letztendlich wieder mehr Steuern.

Die Steuereinnahmen, vorab jene der natürlichen Personen, nehmen konstant zu. Trotz Steuergesetzrevision auch im letzten Jahr. Wie erklären Sie das?

Die Steuergesetzrevision 2022 entlastet dank des um 50 Prozent höheren Pauschalabzugs für die Versicherungs- und Krankenkassenprämien alle Einwohnerinnen und Einwohner, die Gewinnsteuersatzsenkung entlastet die Unternehmen. Diese Entlastungen generieren zwar beim Kanton und den Gemeinden Steuermindererträge. Aufgrund des Bevölkerungswachstums, der steigenden Einkommen sowie dank der positiven wirtschaftlichen Effekte nehmen jedoch die Gesamtsteuererträge der Gemeinden und des Kantons auch in den kommenden Jahren zu. Beides trägt damit zur Stärkung des Wohn- und Wirtschaftskantons Aargau bei.

Bei den Unternehmenssteuern hat es 2021 einen leichten Einbruch gegeben, warum steigen auch diese Einnahmen wieder?

Der Abschluss 2022 liegt vor allem aufgrund der hohen Nachträge aus dem Vorjahr deutlich höher. Die Nachträge waren deshalb hoch, weil viele provisorische Rechnungen 2021 in der Covid-19-Pandemie relativ tief ausgefallen waren. Aus den folgenden Korrekturen dieser Rechnungen resultierten im Rechnungsjahr 2022 überdurchschnittlich hohe Nachträge. Das sind aber eher einmalige Effekte.

Es scheint, als hätten die letzten Krisen gar keinen so schlimmen Einfluss auf die Kantonsfinanzen gehabt. Bleibt das so?

Wir alle kennen die Zukunft nicht. Wir wissen aber, dass die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich rasch verschlechtern können. Trotz weiterhin schwieriger äusserer Umstände wird der Kanton Aargau ab 2024 schuldenfrei sein. Das kommt uns zu Gute. Zudem haben der Grosse Rat und der Regierungsrat in guten Zeiten vorgesorgt und bis Ende 2022 eine Ausgleichsreserve von 837,6 Millionen Franken für schwierige Zeiten angelegt. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch die anstehenden finanziellen Herausforderungen gut meistern werden und den Einwohnerinnen und Einwohnern wie den Unternehmen im Kanton weiterhin gute Rahmenbedingungen anbieten können.

Welche Herausforderungen kommen innerhalb des Aargaus auf den Staatshaushalt zu?

Die finanzpolitischen Aussichten sind angespannt, denn in den Budget- und Planjahren 2023 bis 2026 resultieren herausfordernde Defizite. Zudem sind die künftigen Ausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank ungewiss. Das überdurchschnittliche Bevölkerungswachstum im Aargau führt überall zu einer höheren Nachfrage nach staatlichen Leistungen und zu einem hohen Investitionsbedarf, in den nächsten Jahren vor allem im Bildungsbereich. Damit werden auch die Ausgaben zwangsläufig ansteigen. Auch beim Personal, unserer wichtigsten Ressource, werden wir einen Mehrbedarf haben und sehen uns angesichts des Fachkräftemangels einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Wir dürfen nicht an Attraktivität als Arbeitgeber einbüssen.

In der Staatsrechnung 2022 enthalten ist eine sechsfache Ausschüttung der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Für das laufende Jahr wird es von der SNB gar kein Geld geben. Soll man die Ausschüttung überhaupt noch budgetieren?

Ich habe mich stets auf den Standpunkt gestellt, dass die über den Grundbeitrag hinausgehenden Zusatzausschüttungen der SNB ein willkommener Sondereffekt sind und man mit diesen Einnahmen nicht dauerhaft rechnen soll. Und solche Sondereffekte vor allem auch nicht für die laufenden Ausgaben zu planen. Dass wir diesen Verlockungen in den letzten sechs Jahren nicht erlegen sind und stattdessen mit den Überschüssen konsequent unsere Schulden in der Höhe von rund 1,3 Milliarden Franken zurückbezahlt und Reserven in der Höhe von über 800 Millionen Franken gebildet haben, hat sich als richtig und weitsichtig erwiesen. An dieser umsichtigen Finanzpolitik sollten wir festhalten.

Ab wann rechnen Sie wieder mit Nationalbank-Millionen für den Aargau?

Das Jahr ist noch sehr jung, die Volatilität in den Märkten hoch und die Auswirkungen der geopolitischen Lage äusserst ungewiss. Heute dazu eine Aussage zu machen wäre Kristallkugel lesen. Und dazu kann ich als verantwortungsvoller Finanzdirektor leider nicht Hand bieten.

Es ist das sechste Jahr mit positivem Rechnungsabschluss in Folge. Wird es auch ein siebtes geben?

Das vom Grossen Rat im November verabschiedete Budget 2023 weist ein Defizit von nahezu 300 Millionen Franken auf. Einerseits sind die Ausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank im Budget komplett weggefallen. Andererseits bedeuten die sich akzentuierenden Auswirkungen des Ukraine-Kriegs eine grosse Herausforderung für den Finanzhaushalt des Kantons. Wir können zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine Prognose zum Rechnungsergebnis 2023 abgeben. Was wir heute schon wissen ist, dass die budgetierte Entnahme aus der Ausgleichsreserve möglich sein würde, wenn wir sie denn brauchen.

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