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Darf jemand mit Schnauz in die Frauenbadi? Und was, wenn eine trans Frau ins Gefängnis muss? Das neue Gesetz allein löst kein Problem

Wann ist eine Frau eine Frau? Wenn sie sich als eine fühlt. So einfach ist seit Anfang Jahr die Regelung. Dennoch führt sie an Orten, die nur Frauen vorbehalten sind, zu neuen Diskussionen. Und es gibt Handlungsbedarf.

Der Vorfall in einer Zürcher Frauenbadi ist speziell und soll sich laut der NZZ so abgespielt haben: Jemand, der die Badi betreten wollte, trug einen Schnauz und wurde vom Personal an der Kasse deshalb als Mann gelesen. Die Person zeigte ihren Ausweis, der sie als Frau identifizierte. Dennoch wurde kein Einlass gewährt.

Seit Anfang Jahr ist es möglich, unbürokratisch und lediglich mittels einer Erklärung vor Ort den Vornamen und das Geschlecht im Personenstandsregister zu ändern. Einzige Voraussetzung: Man muss mindestens 16 Jahre alt sein oder andernfalls die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung mitbringen.

Der Bund erhebt noch nicht, wie viele Personen bisher davon Gebrauch gemacht haben. Umfragen der Medien bei den Standesämtern von Grossstädten und bei den Kantonen zeigen aber, dass mehrere hundert Personen diesen Schritt seit Januar gemacht haben. Bevor die neue Rechtssprechung in Kraft trat, waren es jeweils rund 200 Fälle pro Jahr gewesen: Zuvor brauchte es ein gerichtliches Verfahren, um das amtliche Geschlecht ändern zu lassen.

Die Diskussionen gehen aber weiter, denn auch das neue Gesetzt sieht keine landesweite spezielle Regelung für Orte vor, die Frauen vorbehalten sind und wo es ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis gibt wie in Frauengefängnissen, Asylzentren oder eben Frauenbadis.

Diskussion wegen Frauen-Orten mit besonderem Schutz

In der Stadt Zürich hat die Fachstelle für Gleichstellung mit dem Sportamt einen Leitfaden entwickelt, der besagt, dass eine trans Frau in der Frauenbadi oder ein trans Mann in den Männerumkleidekabinen am richtigen Ort sei.

Anja Derungs, Leiterin Fachstelle für Gleichstellung in Zürich.
stadt-zuerich.ch

Was aber, wenn eine Person am Badieingang ein typisch männliches Merkmal wie einen Schnauz trägt? Anja Derungs, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich, sagt dazu: «Die Frauenbadi ist für Frauen. Wenn eine Person beim Eintritt in die Frauenbadi männlich gelesen oder der Geschlechtsausdruck als männlich interpretiert wird, wird das Gespräch mit dem Badegast gesucht. Dies kommt äusserst selten vor.» Denn trans Menschen sei es oft ein grosses Anliegen, nicht aufzufallen, weil Diskriminierung und Ausgrenzung heute noch den Alltag vieler prägten.

Trans Frau: «Eine Reaktion bringt nur Konflikte»

So sagt denn auch die 64-jährige trans Frau Nathalie M. (Name geändert): «Ich gehe selten baden und wenn mit einer weiten Badehose, die ich in der Kabine anziehe.» In einer gemischten Sauna sei ihr einmal jemand die ganze Zeit nachgelaufen, um herauszufinden, was denn unter dem Badetuch sei. «Das muss man dann ertragen, eine Reaktion bringt nur Konflikte.»

Seit 2011 besteht kein Zwang zur Sterilisierung mehr, um das Geschlecht im Personenregister ändern zu können. Seither verzichten manche trans Personen auf geschlechtsangleichende Operationen – so auch Nathalie M., welche einige Leute kennt, die danach Probleme mit dem Harnlassen hatten. «Mit einem Urinbeutel will man ja dann auch nicht in die Badi», sagt sie.

Über den Gast in der Frauenbadi kann nur spekuliert werden

Zum Fall in der Frauenbadi in Zürich gibt Nathalie M. zu bedenken: «Es könnte auch eine Person gewesen sein, wie ich sie in Zürich kenne, die durch eine Behandlung mit Testosteron einen Schnauz bekommen und ihre Brüste noch hat. Wer auch immer es war: Diese Person hatte die Energie, die Reaktionen auf ihr Erscheinen auszuhalten.»

Denn sie stellt fest, dass sich die Haltungen gegenüber Personen, die nicht klassische Frauen oder Männer seien, verhärtet hätten – wegen dem Trumpismus, und anderen transphoben Präsidenten wie Putin oder Viktor Orban in Ungarn. «Aber auch Stimmen von religiös-konservativen Muslimen und Christen haben sich bis in unseren Alltag durchgeschlagen.»

Nicht unbedingt ein toleranterer Raum

Doch Frauenbadis sind nicht generell ein Freiraum für alle. Diskussionen oder Proteste gibt es auch hier, zwischen oben-ohne-Badende, Musliminnen – nur kaum je wegen trans Frauen. Der Fall ist eine Ausnahme. So hat die Badi Dreilinden in St. Gallen einen separaten Frauen-Sektor, aber eine trans Frau stand noch nie an der Kasse. «Im Zweifelsfall würde unser Betriebspersonal einen Personalausweis verlangen und bei ‹f› Eintritt gewähren», sagt Roland Hofer, Leiter Anlagenbetrieb der Stadt St. Gallen.

Warum also sorgt das Beispiel für grosses Aufsehen? Und würden männlich erscheinende Frauen die anderen Gäste wirklich beunruhigen? Anja Derungs sagt dazu: «Im derzeitigen Diskurs werden oftmals verschiedene Themen vermischt: Aber Missbrauch, sexualisierte Gewalt, Spanner und Grenzüberschreitungen haben nichts mit Transidentität zu tun. Sexualisierte Gewalt bedarf der Sensibilisierung, Intervention und Prävention und der Verantwortungsübernahme.»

Was ist beim Sportunterricht oder in Asylzentren?

Räume, die nur einem Geschlecht zugeschrieben oder vorbehalten sind, finden sich aber nicht nur in der Freizeit. Im Gegenteil. Trans Menschen sind immer wieder mit der Zweigeschlechterordnung konfrontiert. Sei dies im getrennten Sportunterricht, in Asylzentren oder im Strafvollzug.

An den Schulen gilt: Findet der Sportunterricht für Mädchen und Knaben getrennt statt, können trans Kinder oder -jugendliche mit jener Gruppe turnen, mit der sie sich aufgrund ihrer Geschlechtsidentität zugehörig fühlen. Gibt es keine Einzelgarderobe oder eine solche, die allen Geschlechtern offen stehen, können allenfalls die Sanitäranlagen für Lehrerinnen und Lehrer oder für Menschen mit einer Behinderung genutzt werden. Dazu wird in der Broschüre über die Rechte von LGBTI-Menschen geraten, welche die Law Clinic der Universität Genf und die beiden Fachstellen für Gleichstellung in Bern und Zürich herausgegeben haben. Die Schulen müssen Massnahmen zum Schutz vor psychischen und physischen Belästigungen ergreifen.

Mann, Frau, Rollstuhltauglich – so einfach ist es nicht mehr in Turnhallen.
Gettty

Dies gilt auch bei der Unterbringung von Asylsuchenden. Den Bedürfnissen von trans Menschen soll «im Rahmen des Möglichen Rechnung getragen» werden, heisst es im Betriebskonzept der Bundesasylzentren. Doch was heisst das konkret? Auf Anfrage präzisiert das Staatssekretariat für Migration (SEM): Für trans Menschen werde «immer eine individuelle Lösung» gewählt, die ihnen wie den übrigen Bewohnern gerecht werde.

Oft sind separate Räume nötig

Konkret bedeute dies, dass «trans Menschen in einem separaten, eigenen Raum untergebracht werden, wenn entweder ihr Gefühl von Schutz und Privatsphäre verletzt würde oder aber sie dieses Empfinden bei anderen Asylsuchenden im Zentrum auslösten», teilt das SEM mit. Falls nötig, würden sie extern untergebracht.

Dies relativiert Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland: «Wir erleben ganz verschiedene Formen der Unterbringung. Als Standard müsste in jedem Fall eine externe Lösung, also ein Studio oder allenfalls eine Wohngemeinschaft mit anderen queeren Menschen organisiert werden.» Ein Einzelzimmer in Kollektivunterkünften löse das Problem der Transfeindlichkeit in den Zentren nicht. In gemeinsam genutzten Küchen, Essräumen oder Gängen zeige sich diese nach wie vor.

Gemäss «Queer Amnesty» ist in 70 Länder einvernehmlicher Sex zwischen Menschen gleichen Geschlechts verboten, in sechs davon steht dies sogar unter Todesstrafe. In vielen Ländern werden auch queere Lebensweisen bestraft. Müssen trans Personen mit Menschen aus solch transfeindlichen Gesellschaften in denselben Zentren leben, erleben sie oft Diskriminierungen, Bedrohungen oder gar Gewalt.

Auch im Justizvollzug fehlt eine nationale Regelung

Wie viele trans Menschen im Asylverfahren sind, weiss der Bund nicht. Selbst im Justizvollzug fehlen entsprechende Zahlen. Wo also werden trans Frauen und trans Männer untergebracht? Das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug SKJV hat im vergangenen Jahr einen Bericht über die Betreuung von LGBTI-Personen im Freiheitsentzug erstellt und mit Personen im Justizvollzug gesprochen. Dabei wird klar: Eine nationale Regelung fehlt und auch die allermeisten Kantone kennen keine Bestimmungen.

Alecs Recher vom TGNS sagt: «Sowohl im Asylbereich als auch im Justizvollzug hat in den vergangenen Jahren ein Prozess stattgefunden. Es gibt in gewissen Institutionen Fortschritte und im Einzelfall gute Lösungen, aber noch nicht flächendeckend. Es ist daher eine Lotterie, wohin man kommt.»

Vermehrt führen Gefängnisse Schulungen durch und würden ihre Mitarbeitende auf die Fragen rund um LGBTIQ-Themen sensibilisieren. Wie wichtig dies ist, zeigt der Bericht des SKJV: Die Hälfte der Befragten gab an, dass in ihrer Justizvollzugsanstalt bereits trans Menschen untergebracht worden seien. Dabei handelte sich primär um trans Frauen in der Untersuchungshaft. Einzig ein Fall eines trans Mannes ist in der Umfrage aufgeführt. Er war in einer Justizvollzugsanstalt für Frauen untergebracht.

Ob eine trans Frau in ein Frauen- oder Männergefängnis kommt, wird in der Regel nicht aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, sondern anhand des anatomischen Geschlechts und/oder ihres Eintrags im Personenstandsregister entschieden. Der Bericht bilanziert: «Besonders besorgniserregend ist, dass die Einweisungskriterien nicht einheitlich sind.» Oftmals würden «weder die Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität noch den Wunsch der betroffenen Person berücksichtigt».

Auch Alecs Recher von TGNS betont: «Es braucht den Dialog mit der Person. Gemeinsam mit ihr muss die passendste Lösung gefunden werden.» Ob dies geschieht, hänge auch von der Lebenssituation der Person ab. «Eine migrantische trans Frau, die als Sexarbeiterin arbeitet, ist beispielsweise einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, verhaftet zu werden und dann in einem Männergefängnis zu landen.» Dies, weil der Zugang zu Informationen und in der Folge auch zur Änderung des Geschlechtseintrages für sie tendenziell schwieriger sei.

Ein weiteres Problem ist auch der Informationsfluss zwischen Behörde und Haftanstalten, wie der SKJV-Bericht zeigt. Insbesondere bei Eintritten in der Nacht oder an den Wochenenden würden letztere teilweise nur unvollständige Angaben zu Transmenschen bekommen. Das kann schwerwiegende Folgen haben, wie der Fall einer trans Frau zeigt: Bei ihrem Eintritt wusste die Anstalt nichts von ihrer Geschlechtsidentität und wies ihr einen Platz in einer Mehrbettzelle im Männertrakt zu, wo sie dann nachts vergewaltigt wurde.

Internationale Daten lassen darauf schliessen, dass trans Frauen zu jenen Gefangenen in einer Männeranstalt gehören, die «einem hohen Vergewaltigungsrisiko ausgesetzt sind». Orte wie Duschen, die sich nicht abschliessen lassen, gelten als besonders riskant. Es komme vor, dass gefährdete Inhaftierte deshalb nicht duschten, um kein Risiko einzugehen, heisst es im Bericht.

Wenn trans Menschen in einer Männeranstalten in einem separaten Bereich untergebracht werden, dann haben sie in der Regel nur Kontakt zu den Angestellten des Justizvollzugs. Dies kommt aber,einer Einzelhaft gleich. Dauert diese Art der Haft länger als 14 Tage , kann sie mit den Grundrechten kollidieren. Der Bericht hält fest, dass die Kantone nun Betreuungskonzepte entwickeln müssen, die «gleichzeitig den Schutz und den sozialen Austausch der betroffenen Personen gewährleistet».

Fürs Alecs Recher von TGNS braucht es insbesondere sensibilisiertes Personal, das Transfeindlichkeit erkennt und entsprechend darauf reagiert. «Personen, die in einzelnen Zellen untergebracht werden, können dann am Vollzug normal teilnehmen – etwa in der Beschäftigung oder Bildung.»

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